Lauter reizende Menschen
erwischt? Dieser Philipp Ross ist doch ein Ekel! Immerzu versucht er sich aufzuspielen — und erreicht damit nur, daß er unausstehlich ist.«
»Ach, so schlimm ist er auch wieder nicht! Er neigt nur zu Widerspruch und Spott, und er legt es nur darauf an, Sie hochzubringen. Aber ich bin überzeugt davon, daß er auch sehr nett sein kann: Jim erzählte mir gestern abend am Telefon, Ross sei oben bei ihm gewesen. Es klang ganz so, als fände er ihn sympathisch, und anscheinend versteht Ross eine ganze Menge von Pferden. Jedenfalls hat er sich mächtig für den Stall und Purdys und Jims Experimente interessiert!«
»Er hat vielfältige Interessen«, knurrte Lucia gehässig. »Immerzu muß er seine Nase in alle möglichen Dinge stecken!«
Annabel lächelte und versuchte, sie friedlicher zu stimmen. »Er nimmt aber nur ganz allgemeines Interesse«, sagte sie. »Bestimmt will er niemandem weh tun.«
Diese Worte klangen noch in Lucia nach, während sie heimfuhr. Weh tun? Nein, das wollte er gewiß nicht. Wer konnte in so liebenswürdiger Umgebung aufs Wehtun aussein? Aber wieso hatte Philipp Ross sich eine Zigarette aus einer Zwanzigerpackung genommen? Er hatte doch nur zehn von ihr gekauft — und behauptet, er habe keine einzige mehr bei sich!
SECHSTES KAPITEL
Lucia war mit ihrer Morgenarbeit recht zufrieden. Mit Lens Hilfe war es ihr gelungen, sich durch die Buchungen des vergangenen Monats hindurchzufinden, und dann hatte sie Rechnungen geschrieben.
»Ach, nun habe ich keine Marken mehr«, rief sie aus. »Aber ich muß die Rechnungen absenden. Also muß ich wohl zu Miss Mills wandern und Briefmarken kaufen.«
Len schien Bedenken zu haben.
»Das werden Sie bestimmt bereuen: Sie wird schwatzen und schwatzen, Sie durch den ganzen Garten schleppen, bis Ihnen das Kreuz weh tut, Ihnen winzige Blümchen zeigen, die noch nicht einmal schön sind, und Ihnen lauter ellenlange unverständliche Namen nennen. Und dann werden Sie ins Haus kommandiert werden, wo alles noch einmal von vorn anfängt: Sie zeigt Ihnen die Gemälde des Großvaters, und dann ihre eigenen, und sie versucht, Ihnen eines davon zum Kauf aufzuschwatzen. Lassen Sie die Rechnungen bis morgen liegen, Luce: dann sorge ich dafür, daß Mick Kelly, der Vormann vom Montagelager, Ihnen die Marken mitbringt.«
»Ich habe doch keine Angst vor Carmen!« brüstete sich Lucia. »Ich bin keine Gärtnerin, deshalb wird es ihr nicht gelingen, mich durch den Garten zu schleppen, und ich werde nur so viel Geld bei mir haben, um die Briefmarken zu bezahlen — und deshalb gar nicht in der Lage sein, ihr Bilder abzukaufen, selbst wenn ich es wollte!«
Als sie vor der Pforte von Carmen Mills’ Anwesen anhielt, sah sie am Straßenrand den leeren Nachmittagsbus stehen. Ein Pfad führte durch einen üppigen Flor herrlicher Blumen, vorbei an gar nicht herrlichen Gnomen, Kaninchen, Fliegenpilzen und Unholden, und Lucia überlegte, wie erstaunlich es doch war, daß jemand, der Geschmack für einen wundervollen Garten hatte, ihn derartig verschandeln konnte! — Auf der Veranda vor dem winzigen Postamt fand sie Carmen, die wie ein aufgeregtes Vögelchen um einen bulligen Mann herumschwirrte, der im Sessel saß, Tee trank und ein Stück mächtigen, ungenießbar anmutenden Kuchen vertilgte.
»>Frau Luna »Aber >Tropensonne Lucia verspürte keine Lust, in die ästhetische Betrachtung hineingezogen zu werden, und bat hastig um ihre Marken. Aber auf der Stelle wurde sie dem Großen vorgestellt: »Das ist Herr Benson, der den Bus fährt. Zuweilen, wenn er keine Fahrgäste hat, trinkt er eine Tasse Tee bei mir. Niemand versteht mehr von Rosen als er!«
Höflich erhob sich der Fahrer, wobei er Kuchenkrümel in reichlicher Menge um sich herstreute. Lucia hatte nicht viele Erfahrungen mit Rosenfreunden, aber es fiel ihr ausgesprochen schwer, in diesem alltäglich aussehenden Benson jemanden zu sehen, der begeistert von >Frau Luna< und >Tropensonne< schwärmte.
»Dieses kleine Fräulein und ich«, lachte er albern, »wir turteln immer ein bißchen über Rosen. Die sind nämlich mein Hobby.«
»Und nur durch Zufall sind wir darauf gekommen«, flötete Carmen. »Als ich eines Nachmittags zum Bus hinaus ging, um den Postsack zu holen, wobei mir gerade ein wenig weh ums Herz war, weil Ihr lieber Onkel ein wenig schroff zu
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