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Lauter reizende Menschen

Lauter reizende Menschen

Titel: Lauter reizende Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Scott - Joyce West
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unserm ganzen Vaterland. Und voll unendlicher Dankbarkeit darf ich mich rühmen, ein wenig von seiner großen Begabung ererbt zu haben!« Nach diesen Worten schickte sie sich — zu Lucias Schrecken und zu Augustas kaum verhüllter Langeweile — an, eine Auswahl aus ihren eigenen Werken vorzuführen, wobei sie in immer neuen Worten vom Glück ihrer begnadeten Erbschaft schwärmte.
    Ihre Bilder waren nach Lucias Ermessen zweifellos kümmerlich: naturgetreues Bemühen in uraltem Stil, mit dem es jeder mäßig begabte Schüler einer Anfängerklasse aufnehmen konnte. Zu ihrer Überraschung blieb Augusta vor einem kleinen, geradezu gräßlichen Bild stehen. Auf grünem Gefilde, unter blauem Himmel, graste im Vordergrund eine Stute mit ihrem Fohlen.
    »Das ist großartig! Wie ein Farbfoto!« strahlte die bedeutende Dame, und Lucia bekam schon Angst, die Künstlerin würde über sie herfallen und sie zerschmettern.
    Glücklicherweise jedoch nahm Carmen die Worte als Kompliment, und sogleich verbreitete sie sich ausführlich über die Gefühle, die sie beim Malen beseelt hatten. Vier Stunden, verkündete sie, habe sie unter einem Stalldach gesessen, um Farben, Licht und Schatten zu erfassen, Studien der Pferde zu machen und die Harmonie der Ausleuchtung zu erreichen. — »Vier Stunden saß ich da, unbemerkt, versunken in die Freude künstlerischen Schaffens, während Spinnen mir ungestraft auf den Kopf fielen!« schloß sie dramatisch, so daß Lucia fast herausgeplatzt wäre.
    Als sie sich wieder umdrehte, wurde sie zu ihrer grenzenlosen Verblüffung gewahr, wie Mrs. Wharton, offenbar in einem Anfall geistiger Umnachtung, tatsächlich das Bild mit den Pferden auf der grasgrünen Koppel käuflich erwarb!
    »Jawohl, nur zwei Guineen!« erklärte Carmen mit sanfter Festigkeit, und mit hämischer Freude beobachtete Lucia, wie zögernd die große Dichterin ihr schmuckes Handtäschchen aufmachte. Schon bei andern Gelegenheiten hatte sie feststellen können, daß Augusta alles andere als großzügig mit ihrem Geld umging. Was mag sie nur dazu bewogen haben, dieses Bild zu kaufen?
    Auf der Heimfahrt, nachdem es ihnen endlich gelungen war, einen ehrenvollen Rückzug anzutreten, stellte Lucia vorsichtig die Frage nach dem Anlaß des Bilderkaufs. Augusta holte tief Luft — und dann wurde sie zu Lucias Verblüffung endlich einmal ganz menschlich und natürlich.
    »Ach, liebes Kind, ich begreife mich selbst nicht. Die Frau hat mich richtig hypnotisiert. Aber Sie sollten mir deshalb dankbar sein. Hätte ich dem armen Geschöpf das Geld nicht in den Rachen geworfen, dann hätten wir uns all das Gerede von Ahnen und Erbschaft noch stundenlang anhören müssen. Zwei Guineen — mögen sie für einen solchen elenden Schinken noch so viel Geld sein — sind doch ein verhältnismäßig geringer Preis für unsere Befreiung!«
    »Es war sehr edel von Ihnen. Ich glaube, Carmen ist recht arm.«
    »Es scheint, als verkaufe sie hin und wieder ein Bild an Touristen — was wieder ein Beweis dafür ist, daß es mehr Verrückte auf der Welt gibt, als man ohne weiteres annehmen möchte.«
    Lucia konnte nur staunen. Nie im Leben hatte sie vermutet, daß Augusta fähig sei, von ihrem hohen, eingebildeten Thron herabzusteigen. Tat sie es, wie jetzt, so war sie richtig nett und amüsant. Lachend prustete sie, sie müsse Annabel alles haarklein erzählen, sobald sie einmal mit ihr allein sei. Waren es diese ungezwungenen fröhlichen Augenblicke, derentwegen Annabel trotz allem ihre Mutter herzlich liebhatte?
    Fast im selben Augenblick, als sie vor Lucias Häuschen anhielten, fuhr Philipp Ross bei der Pumpe vor. Sein Benzinbedarf war wirklich enorm, fand Lucia, und ärgerlich mußte sie feststellen, daß sie bei der Begrüßung leise errötete. Um diese Schwäche auszugleichen, ließ sie ihre Stimme ungewöhnlich schroff klingen.
    »Guten Morgen. Sind Sie wieder mal da? Nun, diesmal hatte ich, wie ich gestehen muß, sogar den Wunsch, mit Ihnen zu reden.«
    Wie üblich traf die Spitze nicht ins Ziel, denn Ross lächelte nur ungerührt. »So zweischneidig das Kompliment ist«, meinte er leichthin, »nehme ich es dankbar an. Worüber wollten Sie denn mit mir reden?«
    Sie schlenderten von der Pumpe fort, und einigermaßen wütend bemerkte Lucia, daß Len ihnen mit undurchschaubarem Lächeln nachblickte. Traute er ihr etwa zu, daß ihr das Alleinsein mit diesem gräßlichen Kerl Spaß machte?
    »Sehr wichtig ist es nicht gerade, aber ich meine, Sie müßten es

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