Lautlos im Orbit (1988)
in ihre dunklen Augen blickte. »Das ist sehr lange her, Jane.«
»Nicht mehr als zwei Generationen, nehme ich an.«
Nehme ich an, nehme ich an! Was soll das? Will sie meine Gedanken sezieren, mich, meine Gefühle? »Wie kommst du nur darauf, Jane?«
»Es ist ganz einfach. Ich habe irgendwo gehört, das Erbgedächtnis reiche nicht allzuweit zurück. Du wüßtest also nichts von diesen Dingen, wenn deine Familie die Inseln schon vor langer Zeit verlassen hätte.«
Erbgedächtnis! Ich wäre wohl nie auf den Gedanken gekommen, eine Frau wie Jane Blackwood, sicherlich gebildet, bestimmt mit Lebenserfahrung und erheblichem Selbstbewußtsein, könne zu Mystizismus neigen.
Nein, das hat nichts mit dem ererbten Gedächtnisinhalt irgendeines nebelhaften Vorfahren zu tun, das ist mein Gedächtnis, meins ganz allein. Ich selbst habe sie gesehen, die samtgrünen Rasenbänke und die geheimnisvollen Felsen, die Höhlen, in denen es nachts umgeht, und die alten knorrigen Bäume, deren Stämme in der Finsternis zu leuchten beginnen. Und die Hexen. Jane würde aus allen Wolken fallen, wenn sie das erführe.
»Weißt du, Phil, wenn ich solche Geschichten höre, dann werde ich immer ganz… Also, diese Geschichten, die könnten mich glatt umhauen.«
Ich bemühe mich um ein Lächeln, ein feines, wie ich hoffe, mit einem Funken von Ironie darin. »Soso? Sie hauen dich um? Dann sollte ich dir wohl bei Gelegenheit mehr über mich erzählen, Jane. Ich kenne viele solcher Geschichten.«
Ich sehe, wie bei meinen Worten ein blitzschnelles Lächeln über ihr Gesicht huscht, von dem ich nicht weiß, was sich dahinter verbirgt. Nein, ich glaube nicht, daß wir uns näherkommen werden, Jane Blackwood und ich. Etwas steht zwischen uns, was sich nicht beiseite schieben läßt. Vielleicht sind es die Gefahren, die sich aus einem gemeinsamen Leben auf so engem Raum für mich ergeben würden, sich ins unermeßliche steigernd durch Janes Art, diejenigen, mit denen sie umgeht, auszuforschen.
Sie habe das Gefühl, ich stamme nicht nur von den Iren ab, sondern sei selbst einer, hat sie mir dort in der Kantine gesagt, kaum daß wir uns länger als eine halbe Stunde unterhalten haben. Und vielleicht suche ich nur den Kontakt zu ihr, um etwas zu verdrängen, was ich nicht vergessen könne.
Wie recht sie mit ihrer Vermutung hat.
Nein, sie ist nicht die geeignete Partnerin. Denn da sie mich einmal so mühelos durchschaut hat, müßte ich ihre weiteren Erkundungen fürchten, ihre Versuche, mich tiefer und tiefer zu analysieren, um hinter das zu kommen, was sie als interessant oder gar geheimnisvoll empfindet. Gelänge ihr das in letzter Konsequenz, es könnte sich als tödlich erweisen. Für mich oder für sie.
Die Decke meiner Kabine besteht aus bläulich schimmernden, sehr regelmäßig angeordneten Metallplastplatten mit feinen mattgrauen Nähten an den Stoßstellen. Nun, da ich auf dem Rücken liegend lange genug auf dieses eintönige Muster gestarrt habe, beginnt es sich sacht mit belebten Figuren zu überziehen. Eine Landschaft taucht auf, zuerst noch schemenhaft, sich jedoch schnell verdichtend: sanft ansteigende Berglehnen, bedeckt von üppigen Wiesen, zartem sattgrünem Gras mit gedrungenen Halmen, wie es nur in meiner Heimat wachsen kann, und darüber die Wipfel uralter Kiefern, deren knotige Wurzeln sich über schmale Pfade hinwinden wie unordentlich ausgelegte Fußangeln. Dann ein Bach und endlich der Geruch feuchter Erde. Da weiß ich, daß es zu spät ist, der Erinnerung auszuweichen.
Traumsommer
Die Sonne lag flach und rot auf dem Horizont, der schwarz und zerklüftet war wie eine hochschwappende nächtliche Woge.
Der Junge saß auf dem Hexenstuhl, einem ungewöhnlich geformten, von Regen und unzähligen Jungenhintern ausgeschliffenen Felsbrocken, der die glatte Grasnarbe durchstieß. Ein einsamer Junge auf einem einsamen Felsen. Im Tal gingen die verstreuten Lichter in den Häusern von Calman’s Edge an. Es waren nur wenige Lichter, und es wurden von Jahr zu Jahr weniger.
Der Junge wandte keinen Blick von der Sonne. Sie war seine Uhr. Eine andere besaß er nicht.
Als die halbe Scheibe glühenden Rots hinter die Silhouette der Bäume getaucht war, glitt er geräuschlos von seinem Hochsitz und begann den Hang hinter dem Hexenstuhl hinaufzusteigen. Es wurde schnell dunkel, da die Bäume hier, oberhalb der Berglehne, näher zusammenstanden.
Der Junge stieg langsam und mit raumgreifenden Schritten, deren jeder von
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