Lautlos im Orbit (1988)
Schotte länger auf, als ich gerechnet habe.
Dann endlich bin ich vor Ort. Auf der ersten Tür der fünften Schleuse blinkt hektisch ein giftgelbes Kreuz, der sichtbare Hinweis, daß jenseits des fünften Doppelschotts absolutes Vakuum anliegt. Das Kreuz pulsiert, als sei da etwas in dieser toten und doch sehenden, hörenden und denkenden Maschinerie, das Schmerz oder Furcht empfinden könnte, das sich bewußt wehren könnte gegen das Eindringen des lebensfeindlichen leeren Raumes.
Im Moment, als ich die Pumpen anlaufen lasse, höre ich die Funkstimme des Commanders. Die ersten Worte gehen resonanzlos an mir vorbei, so groß ist meine Erleichterung, eine lebende Stimme zu hören.
Doch Glenn Morris hat selbstverständlich damit gerechnet, er wiederholt seine Ausführungen: »Achtung, Achtung! Hier spricht Commander Morris. Schwere Havarie in Außensektion vier! Wir haben eine bisher noch unbekannte Anzahl Toter und Verwundeter zu beklagen. Der allgemeine Druckabfall in der Station beträgt acht Prozent. Der Druck ist bereits stabilisiert. Druckabfall in Station vier: einhundert Prozent. Lagestabilisation des Systems ausgefallen. Legen Sie unverzüglich Raumschutzausrüstung an. Versorgen Sie die Verletzten. F-Personal sofort zur Havariestelle. A-Personal Stationen übernehmen. Die Leitung des A-Personals übernimmt Doktor Haskett. Achtung!, Absolute Weisungsbefugnis des Commanders!«
Morris wiederholt seine Befehle mehrmals, wobei er ohne Betonung spricht, es klingt, als lese ein Ungeübter vom Blatt. Bei der letzten Wiederholung hängt er den Zusatz an, daß mit der Normalisierung der Druckverhältnisse in den unbeschädigten Sektionen innerhalb der nächsten zwanzig Minuten gerechnet werden könne, mit der Wiederaufnahme der Rotation jedoch nicht vor Inanspruchnahme umfangreicher Hilfeleistungen seitens der Basis.
Auch auf dem Außenschott, das den Aufenthaltstrakt der Sektion vier abriegelt, blinkt ein giftgelbes Kreuz. Die Sektion wirkt wie ein gleichmäßig schwach gekrümmter Tunnel, dessen unbeleuchtete Röhre weit entfernt in einer nächtlichen Landschaft endet. Hin und wieder gleiten vermummte Gestalten, manchmal in Körperhaltungen, die jeder Erfahrung widersprechen, über die an ihren Rändern zerrissene Fläche des Tunnelmundes. Erste leise Funkgespräche wehen herüber.
Je näher ich dem Ort der Katastrophe komme, um so deutlicher wird mir, daß diese Reparatur nicht aus eigener Kraft durchzuführen sein wird. Auf einer Länge von rund sechs Metern fehlt der Außenring völlig, die Mitte der Sektion vier ist mitsamt zwei Kabinen und einem kleinen Aufenthaltsraum, einer sogenannten Kaffeeküche, aus dem Ring herausgesprengt worden. Die Rißstellen sehen aus, als sei ein riesiges, stumpfes Messer hindurchgefahren.
Wenn diese Zerstörungen wirklich das Resultat eines Angriffs sein sollen, so kann der nur mit einer Haftmine geschehen sein, Laser oder Sprengköpfe reißen glattere Wunden.
Nein, das war kein Angriff, denn Haftminen an einer Raumstation anzubringen hieße, einem fliehenden Hasen Sprengpatronen an den Hals zu binden.
Was bliebe, wäre eine Explosion im Inneren der Station. Ein Versagen des Systems oder Sabotage.
Ein roter Skaphander gleitet in mein Blickfeld, Commander Morris. Dann verharrt der Skaphander, kleine gelbe Flämmchen gegen seine Bewegungsrichtung sendend, und in meinen Helmlautsprechern ist die Stimme einer Frau. Einen Augenblick lang hoffe ich, Doras Stimme erkennen zu können, aber dann sehe ich wieder ihren bewegungslosen Körper vor mir und ihr Haar, das im Sog meiner Hand flutete wie schwarze Algen am Grund eines Flusses. Da weiß ich, daß es Doras Stimme nicht sein kann.
»Achtung, Commander! Wir empfangen den Anruf eines sowjetischen Montagesatelliten. Man bietet uns sofortige Hilfe an. Entfernung…«
»Sagen Sie ihnen, daß wir uns selbst helfen werden!« Der Commander scheint ruhig wie immer, doch im nächsten Augenblick wird seine Gelassenheit von Zorn überlagert. »Melden Sie sich mit Namen und Dienstgrad, zum Teufel! Ich erwarte unbedingte Disziplin.«
»Hier spricht Sergeant Blackwood, Sir! Ich habe verstanden. Angebot ablehnen.«
»Ist der Werfer besetzt, Sergeant?«
»Nein, Sir. Captain McBruns ist noch nicht…«
»Was ist mit Phil, Jane?« Unversehens klingt Besorgnis aus der Stimme des Commanders.
Ein dem Grund nach nicht genau zu definierendes, aber unverkennbar schlechtes Gefühl überkommt mich, als ich mich zwischen den äußeren,
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