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Lautlos im Orbit (1988)

Titel: Lautlos im Orbit (1988) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus - Lautlos im Orbit Frühauf
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habe in diesem Moment wirklich »wir« gedacht, und daß ich mich nicht ausnehmen darf, daß ich einen gewissen Anteil am Ausbruch dieser modernen Pest habe, erschüttert mich zutiefst, jetzt noch mehr als in dem Augenblick, in dem ich es erfuhr.
    Irgendwo in der Station schmettern Schotte in die Falze. Es klingt wie Schüsse, die von irgendwoher auf mich abgefeuert werden. Fast bin ich versucht, auf die Einschläge zu lauschen, aber ich würde sie nicht hören können, denn noch immer gellt und blinkt der Rotalarm.
    Mich von der Wand zu lösen, gegen die ich geschleudert worden bin, ist jetzt, da sich meine Welt von den Kräften der Gravitation befreit hat, leichter, als mir lieb sein kann. Einer Feder gleich beginne ich zu schweben, wobei ich registriere, daß ich nicht den geringsten Schmerz verspüre. Nur das Gefühl schnellen Fallens verstärkt sich, nachdem ich meinen letzten, wenn auch unsicheren Halt verloren habe. Sekundenlang bewege ich, ziemlich genau im Zentrum der Kabine schwebend, Arme und Beine, ein Reflex, der die Gefahr birgt, auch den letzten Rest von Orientierung zu verlieren.

    Möbel, in Voraussicht einer solchen Situation verankert, bilden Fixpunkte, ein Kissen, ein Glas, träge um sich selbst und um einen imaginären Pol rotierend, treiben vorbei, dann sehe ich Dora, bewegungslos zwischen Stuhl und Tisch, mit der Stirn die Wandbespannung berührend. Einen Moment lang überschwemmt mich die Furcht, dieses mir verborgene Gesicht könnte grausam entstellt sein.
    Dann jedoch bekomme ich eins der Hangelseile, die aus verdeckten Wandtaschen in das Innere der Kabine geschossen worden sind, zu fassen, die Orientierung kehrt zurück und mit ihr die Konzentration meiner Gedanken auf einen Punkt. Ich drehe mich um meine Querachse und schiebe mich in Richtung Tür, zentimeterdicht über den reglosen Körper Doras hinweggleitend.
    Meine Konzentration droht sich aufzuspalten in den Wunsch, dies alles in ein System zu ordnen, in dem ich meinen derzeitigen Platz zu bestimmen vermag, Ruhe in mich selbst und die Vorgänge um mich her zu bringen, und in den Drang, den Ort des Unfalls oder Überfalls, den der Zerstörung, möglichst schnell zu erreichen. Unser aller Leben hängt von der Fähigkeit ab, sich in Ausnahmesituationen sofort zurechtzufinden.
    All diese Gedanken spüre ich nur andeutungsweise, sie streifen mich lediglich, ähnlich dem Luftzug, den ein vorüberfliegender Vogel verursachen würde. Mein Verhalten hingegen ist mechanisiert, vorgeprägt in Hunderten von Trainingsstunden, zum Automatismus deformiert worden mit dem Ziel, das in Jahrtausenden der Evolution gewonnene unterbewußte Urteil über das Wertverhältnis von menschlichem Leben und toter Maschinerie umzukehren.
    Nur andeutungsweise verspüre ich etwas wie Genugtuung, daß nun genau das geschehen sein könnte, was ich als mein eigentliches Ziel betrachte, dann katapultiere ich mich hinaus in den von der Notbeleuchtung nur spärlich erhellten Gang.
    Dabei gleite ich so nahe an Dora vorbei, daß sich ihr Haar im Sog meiner Hand bewegt. Doch ich verspüre keine Reaktion. In mir ist wohl kein Platz mehr für Gefühle. Nicht in diesem Moment, in dem einmal mehr die anerzogenen Verhaltensweisen den Sieg davongetragen haben. Dieser Körper im rosa Overall, der da hinter mir im Dämmer der Kabine zurückbleibt, ist zur Zeit nicht viel mehr als ein nutzloser Gegenstand. Jetzt geht es nur noch um die Station.
    Ich habe die Tür meiner Kabine eben erreicht, als auch die Notbeleuchtung erlischt. Als sie endlich, nach Sekunden, die mir wie eine Ewigkeit erscheinen wollen, wieder aufflammt und sich flackernd stabilisiert, habe ich meinen Skaphander bereits geschlossen. Der Sauerstoff strömt wie mit Hammerschlägen in meine Lunge. Draußen in der Station muß es einen erheblichen Druckabfall gegeben haben.
    Noch einmal, wieder nur andeutungsweise, geht mir das Bild eines dunklen Haarschopfes, umgeben von einer seltsam formlosen rosa Wolke durch den Sinn, dann jage ich den Gang entlang, den vorwärtstreibenden roten Pfeilen des Alarms nach.
     
    Die Schleusen sind ordnungsgemäß verschlossen und die Schotte automatisch verriegelt. Ihr Mechanismus ist voll funktionstüchtig. Bei den ersten vier deuten die Warnanzeigen nicht darauf hin, daß jenseits der Doppelschotte Ungewöhnliches sich ereignet oder ein größerer Druckabfall als in den anderen Sektionen stattgefunden haben könnte. Trotzdem hält mich der Druckausgleich, das Öffnen und Schließen der

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