Lautlos im Orbit (1988)
Und der Anblick eines unbekannten Gesichtes ist stets eine hochwillkommene Abwechslung, selbst wenn es häßlicher sein sollte als das der Gorgo.
Also begebe ich mich auf den langen und in der jetzigen Lage der Station nicht unbeschwerlichen Weg zur Havariestelle, wo sich, wie ich annehme, bereits die halbe Freiwache eingefunden haben dürfte.
Als ich die Zentrale passieren will, treffe ich zum erstenmal seit nunmehr fünf Tagen wieder auf Howard Skelton. Er hockt im Sessel des Leitstandes, sinn- und zwecklos und ganz allein, hat die Hände müßig auf die Lehnen gelegt, weil es nichts gibt, was sie von der gelähmten Maschine fordern könnten, und starrt in eine unnennbare Ferne, von der nur er weiß, was in ihr vorgeht. Seine Finger zucken fahrig hin und her, als führten sie ein eigenes, von ihm nicht beeinflußbares Leben. Mir fällt auf, daß diese Finger lang und dünn sind, sie erinnern mich an die Beine einer großen Spinne. Das ist mir bisher entgangen, obgleich ich gehört habe, daß Finger viel über einen Menschen aussagen könnten. Diese würden genau in das Bild passen, das ich mir von Howard Skelton gemacht habe.
Als die Tür hinter mir in die Falze gleitet, hebt er den Kopf und schwingt träge mit seinem Sessel herum. Sein Gesicht ist sehr blaß, die Augen sind rot gerändert, und das Weiße in ihnen zeigt einen gelblichen Hauch. Unter den scharf hervortretenden Wangenknochen liegen tiefe Schatten. Der Tod Lilianas muß ihm sehr nahegegangen sein. »Es tut mir sehr leid, Howard«, sage ich.
Er blickt verständnislos. »Was tut dir leid, McBruns?« Seine Stimme klingt abwesend, als sei er eben aus einem tiefen Traum erwacht.
»Na, du weißt schon, Howard. Die Sache mit Liliana. Vielleicht hätte ich nicht damit anfangen sollen.«
Skelton hebt mit vage abwehrender Geste die Hand. »Ach ja! Liliana! War nicht besonders nett von ihr, nicht wahr?« Und dann mit einem kleinen, verschwörerischen Lächeln, angesichts dessen mich ein Schauer überläuft: »Wußtest du übrigens, McBruns, daß Liliana hinter allen Männern hier an Bord her war?«
Ich erinnere mich sofort an einen anderen Satz, mit ähnlicher Metrik und vielleicht in ähnlicher Verzweiflung gesprochen: »Weißt du, daß Howard Skelton ein verdammter Schwächling ist?«
Wie sehr sich doch zwei Menschen einander angleichen können, und wie sehr sie gleichzeitig gegeneinander abstumpfen. »Es war nicht besonders nett von ihr«, eigentlich eine Ungeheuerlichkeit, dieser Satz.
»Das ist nicht wahr, Howard«, höre ich mich sagen. »Sie war hinter niemandem her. Dich ausgenommen.« Er lächelt noch immer gequält.
»Recht so, Phil!« sagt er, unvermittelt wieder zu vertrauterer Anrede übergehend. »Toten soll man nichts Schlechtes nachsagen. Weshalb eigentlich nicht? Weil sie sich an uns rächen könnten oder uns verfolgen mit ihren Totenwünschen?«
»Unsinn!«
»Doch, doch, Phil! Sie wartet auf uns. Dort drüben. Und solange wir noch hier sind, wird sie uns jede Nacht erscheinen. Dir vor allem, denn dich mag sie sehr.«
»Du solltest nicht so reden, Howard. Du solltest dich zusammennehmen.«
»Ich bin ganz in Ordnung, mein Lieber. Aber ich weiß sehr gut, daß sie dich mag. Sie hat oft von dir gesprochen, Phil. Mich machte das wenig traurig, aber sie tat es trotzdem. Sie hat immer getan, was sie wollte. Hast du mit ihr geschlafen, Phil?«
»Du bist ja verrückt, Howard! Was sollen diese Hirngespinste?«
»Hast du nun oder hast du nicht?«
»Selbstverständlich nicht!«
»Schade! Du hättest es tun sollen. Wir sollten einander Gutes tun, solange noch Zeit dazu ist.«
»Was ist gut daran, wenn ich dir die Partnerin…?«
»Es hätte ihr Spaß gemacht, Phil. Oh, sie hätte soviel Spaß daran gehabt, glaub mir.«
Das Gespräch ist mir äußerst peinlich. Der Verlust muß Skelton wohl noch härter getroffen haben, als sein desolater Zustand ohnehin vermuten läßt. Ich sollte ihm in den nächsten Tagen aus dem Weg gehen. Vielleicht findet er bald wieder zu sich selbst zurück, morgen oder übermorgen. Dann werde ich versuchen, ihn zu überzeugen, daß sein Verdacht grundlos ist. Ich fand Liliana aufregend, aber ich habe nie etwas mit ihr gehabt.
»Was soll’s?« sage ich obenhin. »Das ist ja nun vorbei, Howard.«
Doch er gibt sich noch immer nicht zufrieden. »Aber nein! Schon in wenigen Tagen wirst du sie wiedersehen. Dort drüben. Und deshalb muß ich dir sagen, daß ich nichts dagegen habe. Nicht, wenn du es bist.«
Ich
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