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Lautlos

Lautlos

Titel: Lautlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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lassen. Wir sind immer nur die Opfer gewesen.« Sie hatte es gesagt, ohne zu begreifen, dass Sonja längst die Waffen gestreckt hatte, angewidert vom hässlichen Gesicht des Genozids. Und Ricardo in seiner rührenden Besorgnis, auch er hatte die Zeichen falsch gedeutet und die Partisanin gesehen, die der professionellen Attentäterin gefährlich werden konnte, weil sie sich von Hass und Unbeherrschtheit leiten ließ.
    Mittlerweile wusste Jana, dass sie beide sich geirrt hatten. Am Ende der Geschichte würde keine bessere Welt stehen, kein errettetes himmlisches Volk, kein wiedergewonnenes historisches Erbe, kein Aufschrei der Gerechtigkeit, nicht einmal ein Symbol des Zorns, sondern fünfundzwanzig Millionen. Nicht weniger und auch nicht mehr. Jana und Sonja würden einander vernichten, um Platz zu schaffen für jemand Neuen, der keine Vergangenheit hatte, dafür aber möglicherweise eine Zukunft.
    Jana und Sonja.
    Der Tod war unteilbar.
    Sie hob die rechte Hand, führte sie vor ihre Augen, bewegte die Finger.
    Ein leises Summen drang an ihr Ohr.
    Ohne Hast langte sie hinüber zum Nachttisch, ergriff das FROG und stellte die Verbindung her.
    »Erledigt«, sagte Mirkos Stimme. »Ich bin in seiner Wohnung. Aber es gibt ein Problem.«
    »Welches Problem?«
    »Noch jemand hat ihm nachgeschnüffelt. Die Vögelchen scheinen in den Wald geflattert zu sein, aber in seiner Dusche war ein Kerl und hielt sich dort versteckt.«
    »Hat er gesehen, dass …«
    »Nein. Aber ich weiß natürlich nicht, ob er sonst was mitbekommen hat. Ich habe ihn gefilzt und eingeschlossen. Keine Ahnung, was der Bursche will.«
    »Hatte er Papiere bei sich?«
    »Personalausweis.«
    Jana dachte nach. Die letzten Stunden steckten voller Unerfreulichkeiten.
    »In Ordnung«, sagte sie. »Finden Sie raus, was mit ihm los ist. Machen Sie schnell, dann rufen Sie mich wieder an.«
    »Verstanden.«
    Sie platzierte das FROG wieder auf dem Nachttisch, erhob sich vom Bett und ging hinüber zu der Minibar, der sie eine Flasche Mineralwasser entnahm. Mit durstigen Schlucken trank sie. Kein Problem war unlösbar, aber die meisten hatten den unliebsamen Nebeneffekt, dass sie einem die Kehle austrockneten.
    War es ein Fehler gewesen, Clohessy anzuheuern?
    Nein, beschied sie, während sie eine zweite Flasche öffnete. Niemand hatte das voraussehen können. Mirko hatte Clohessy ausfindig gemacht, er war der Beste gewesen, den die Szene zu bieten hatte. Und er hatte sich auf der Flucht befunden. Die Bedingungen waren nahezu ideal gewesen. Clohessy, der mit der IRA gebrochen hatte und von einem besseren Leben träumte, gehetzt von seinen ehemaligen Kampfgefährten und empfänglich für das ultimative Angebot, mit dem man leben konnte, im wortwörtlichen Sinne. Wie hätten sie es besser treffen können?
    Sie hatten ihm eine neue Identität geboten und eine Million. Clohessy hatte ohne mit der Wimper zu zucken angenommen. Gemeinsam hatten sie ihm eine wasserdichte Legende verpasst, sogar eine Reihe telefonischer Kontaktstellen installiert, über die man im Zuge einer routinemäßigen Überprüfung die Bestätigung aller persönlichen und beruflichen Etappen im Leben des Ryan O'Dea erhielt.
    Mit allem hatten sie gerechnet.
    Nur nicht mit diesem verfluchten irischen Doktor.
    Jana leerte auch die zweite Flasche, legte sich wieder auf das Bett und wartete. Nach etwa zehn Minuten meldete sich Mirko und erzählte ihr, wer der Mann in der Dusche war.
    »Das ist dumm«, sagte sie. »Wir können ihn nicht einfach erledigen.«
    »Stimmt«, meinte Mirko nach einer kleinen Pause. »Aber laufen lassen können wir ihn noch viel weniger.«
    »Nein, aber wir können ihn benutzen. Bringen Sie ihn in die Spedition. Wir treffen uns dort in einer halben Stunde.«
    Plötzlich kam ihr eine Idee. Möglicherweise würden sie es schaffen, O'Connor und die Frau lange genug in Sorglosigkeit zu wiegen, bis der Auftrag erledigt war. Dieser Lektor konnte ihnen dabei helfen. Andererseits war die Entwicklung nicht mehr kalkulierbar. Schlimmstenfalls mussten sie damit rechnen, dass sein und Paddys Verschwinden zu Ermittlungen führte. Paddys Wohnung würde also observiert werden.
    Um jeden Preis mussten sie vermeiden, dass jemand einen Zusammenhang zu einem möglichen Anschlag herstellte!
    Aber vielleicht gab es ja einen Weg.
    Sie spielte es durch. Falls O'Connor sich einschaltete, würde ein Ermittlungskommando schnell feststellen, wer sich hinter Ryan O'Dea verbarg. O'Connor war gefährlich, aber ihn

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