Lautlos
reichte es nicht nur, es war möglicherweise besser. Obwohl Jana davon ausging, dass man alle Journalisten nach dem Anschlag stundenlang festsetzen würde, auch sie, war es immer besser, den Rücken frei zu haben.
Sie hatte sich nicht lange in den Pressezelten aufgehalten, wo man an Stehtischen bei Wasser und belegten Brötchen Gipfelthemen wälzte. Sie hatte ein Wasser getrunken und war zur Absperrung hinausgegangen. Es war eine recht geräumige Ecke des Vorfelds, die man der Presse vorbehalten hatte. Von hier aus hatte man das Vorfeld gut im Blick, die hereinrollenden Maschinen, die Politiker, das VIP-Zelt. Jenseits der Lärmschutzhalle zog sich eine weitere Absperrung entlang, die das Vorfeld längs durchschnitt und den Bereich Fracht West vom General Aviation Terminal auf der anderen Seite der Halle abtrennte. Durch diese Absperrung würde Clintons Wagenkolonne einfahren. Ob der Präsident sofort seine Limousine besteigen oder vorher ein paar Worte an die Presse richten würde, war ungewiss. Man hoffte auf jede Kleinigkeit, möglichst auf etwas Ungewöhnliches. Letzteres war der Grund, dass sich alle fast noch mehr auf Jelzin freuten als auf Clinton. Jeder hatte in bester Erinnerung, wie der russische Bär bei seiner Deutschlandvisite seinerzeit zuerst Helmut Kohls Namen vergessen und anschließend das Bundeswehrorchester dirigiert hatte. Zur Freude der anwesenden Journalisten – und wohl zum tiefsten Leidwesen aller anderen – hatte er sogar gesungen. Es hatte geklungen, als hätte er ganz Russland leer gesoffen. Die Presse war hellauf begeistert gewesen.
Clinton war Clinton. Jeder wollte ihn, man drängte und verzehrte sich nach ihm, aber unterm Strich war er natürlich nicht halb so unterhaltsam wie Zar Boris.
Jana sah hinüber zum VIP-Zelt. Einzig der WDR hatte zu beiden Seiten des Zeltes zwei Tribünen zugestanden bekommen, die der Air Force One frontal zugewandt sein würden. Die Logenplätze für die öffentlich-rechtliche Fernsehberichterstattung.
Sie würden ihre Bilder bekommen!
Vor ihr wurden Rufe laut. Plötzlich drängte sich der Pulk dichter an die Absperrung. Kameras wurden hochgehalten, erste Bilder wurden geschossen. Auf der gegenüberliegenden Seite des Vorfelds, in einigen hundert Metern Entfernung, sah Jana, was die anderen so erregte.
Die Air Force One fuhr über die angrenzende Rollbahn und verschwand für kurze Zeit jenseits der Lärmschutzhalle. Das Geräusch der Triebwerke wurde erst leiser und veränderte sich dann, als die Maschine eine Einhundertachtzig-Grad-Drehung vollführte und zurückkam.
In wenigen Sekunden würde sie wieder in Sichtweite geraten. Sehr viel näher. Sie würde ausrollen, und der Präsident würde winkend auf der Gangway erscheinen.
Janas Finger umschlossen die Nikon.
Sie wartete.
VIP-ZELT
Im Grunde war es nichts weiter als die Landung eines Jumbos. Und dennoch eine beinahe mythische Erfahrung. Die Gewissheit darüber, wer im Innern saß, strafte jede Routine Lügen. An Außen- und Wirtschaftsminister hatten sie sich gewöhnt. An Augenblicke wie diese würde sich niemand gewöhnen.
Im Nu lagen Buffet, Sitzgruppen und Stehtische verlassen da. Mit dem Auftauchen der blauen Kanzel hinter der Lärmschutzhalle hielt es niemanden mehr im Zelt. Die VIPs verließen ihr Refugium und traten nach draußen, um ja nichts von dem historischen Ereignis zu verpassen. Für die Delegierten des Auswärtigen Amts, denen das Protokoll oblag, die Protokolloffiziere und die vierzig Angehörigen der US-Botschaft begann der erhebende Teil, für die Sicherheitsleute die zweite Phase.
Die Landung war überstanden. Auch während des Rollvorgangs gab es gefährliche Momente. Naturgemäß war die Air Force One am sichersten, solange sie sich in beträchtlicher Höhe aufhielt, wo sie theoretisch – weil in der Luft mit Treibstoff und Sauerstoff betankbar – bis ans Ende aller Tage bleiben konnte. Trotz ihrer Wehrhaftigkeit gehörten Start und Landung zu den kritischen Phasen. Dennoch stand der kritischste Moment erst noch bevor. Sobald Clinton seine fliegende Festung verließ, war nicht mehr die Maschine das Ziel möglicher Angriffe, sondern die Person. Zwar war Clinton alles andere als ungeschützt. An allen Eckpunkten des Vorfelds waren fahrbare Fluggastbrücken mit Scharfschützen darauf postiert worden. Weitere Scharfschützen lagen auf den Dächern sämtlicher umstehender Gebäude. Niemand würde eine Waffe ziehen können. Kein Überraschungsangriff hätte eine Chance.
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