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Lautlos

Lautlos

Titel: Lautlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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davon ab, dass Clinton mit einiger Verzögerung und erst bei seinem zweiten Erscheinen ausgestiegen war.
    Lex' Signal konnte alles oder nichts bedeutet haben. Lex hatte ihm lediglich signalisiert, den Präsidenten noch nicht aussteigen zu lassen. Möglicherweise wegen einer Lappalie, einer fehlenden Rückbestätigung, dass alles in Ordnung war. So was kam vor.
    Dennoch ahnte Guterson, dass nichts anderes der Grund gewesen sein konnte als der Attentatsfall. Er hatte ein Gespür für derlei Situationen entwickelt. Wahre Gefahr offenbarte sich nicht augenfällig. Während er vor Clinton herging, legte er erhöhte Wachsamkeit an den Tag. Sein Hirn verarbeitete die Informationen, die ihm seine Sinne lieferten, in Hochgeschwindigkeit. Er studierte Gesichter, Bewegungen, Fahrzeuge, Fassaden. Was immer zu der Verzögerung geführt hatte, Lex war einem Verdacht gefolgt und auf Nummer Sicher gegangen.
    Wie es aussah, hatte sich die Sache erledigt. Schon drei Minuten später hatte er den Präsidenten endgültig herauswinken können, kein nennenswerter Zeitverzug angesichts des Umstands, dass Clinton ohnehin zwanzig Minuten auf sich hatte warten lassen. Selbst sein plötzliches Auftauchen und Verschwinden würde sich erklären lassen. Die Frage war immer, was man wie erklärt haben wollte. Und was überhaupt passiert war.
    Und natürlich am Ende, ob überhaupt etwas passiert war.
    Guterson wusste, dass Clinton ziemlich sauer auf ihn war. Der Präsident hasste Schlampereien in der Sicherheit. Clinton wollte auf seine außerprotokollarischen Alleingänge nicht verzichten, aber ihm war auch bewusst, dass er sich das Bad in der Menge nur erlauben konnte, wenn die Security ohne jede Panne funktionierte. Und Guterson hatte ihn heute zurückgeschickt, nachdem er schon fast draußen gewesen war.
    Es würde ein Donnerwetter geben.
    Er stellte sich seitwärts und wartete. Mehrere seiner Leute gingen in kurzem Abstand hinter dem Präsidenten her, andere hatten beidseitig der Gangway Posten bezogen. Clinton schüttelte dem Chef des deutschen Protokolls die Hand, wechselte lächelnd ein paar Worte mit ihm, entschuldigte sich für die Verzögerung, begrüßte dann nacheinander den Bonner US-Botschafter und seine Frau, die anwesenden Offiziere und ein paar weitere Diplomaten. Es geschah für Clintons Verhältnisse außergewöhnlich knapp. Dann war die Begrüßung zu Ende, und das Lächeln wurde wieder ausgeknipst. Der Präsident sah hinüber zu Guterson und winkte ihn mit einer knappen Geste zu sich heran.
    »Was sollte das eben?«, zischte er. »Dieses Raus und Rein.«
    »Ich weiß es noch nicht«, sagte Guterson betreten.
    »Klären Sie das. Umgehend! Sie sind für meine Sicherheit verantwortlich, Norman, machen Sie verdammt noch mal Ihren Job.«
    »Natürlich!«
    »Das war für heute Ihre letzte Panne.«
    Clintons Miene blieb unbeweglich, während er Guterson zusammenstauchte. Er mochte nicht eben als Inbegriff guter Laune erscheinen in diesen Sekunden, aber solange das Auge eines Menschen oder einer Kamera auf ihn gerichtet war, verlor er niemals die Fassung oder zeigte auch nur ansatzweise Verunsicherung. Schon '78 in Arkansas, als Clinton mit zweiunddreißig Jahren jüngster Gouverneur der Vereinigten Staaten seit über vier Jahrzehnten geworden war, hatte er seine Lektion im Rollenspiel perfekt gelernt. Noch im Angesicht des Weltuntergangs vermochte er Menschen das Gefühl zu geben, es sei alles in bester Ordnung, abgesehen vielleicht von seinem persönlichen Armageddon vor den Untersuchungsausschüssen. Selbst Kenneth Starr hatte er vergleichsweise souverän aufklatschen lassen. Die Kehrseite der enormen Selbstbeherrschung war, dass sie ihm half, aufrechten Gesichts die Unwahrheit zu sagen. Clinton einer Lüge zu überführen, war ein kräftezehrender Faktenjob und darum auch so schwierig. An der Nase war sie ihm jedenfalls nicht anzusehen.
    Guterson nickte, erspähte Graham Lex, der vom Heck der Maschine herangetreten war, und ging zu ihm hinüber. Einige Sekunden lang sprach er leise mit dem Bereichsleiter. Dann ging er weiter zur Kolonne. Türen wurden geöffnet, schlugen zu, als sich die Hundertschaft Agenten und die Besatzung in ihre Fahrzeuge verdrückten. Clinton stieg soeben in seine Limousine. Schon am Vortag hatte eine US-Galaxy-Maschine drei gepanzerte, überlange Lincolns eingeflogen. Sie brachten alles in doppelter und dreifacher Ausfertigung mit, wenn sie auf Reisen gingen. Soeben war, wie Guterson wusste, auch die

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