Lautlose Jagd
einschloss. Sie befanden sich nur etwa 80 Kilometer nördlich der Pufferzone mit 50 Kilometern Durchmesser, von der die südkoreanische Hauptstadt umgeben war. Bei ihrer gegenwärtigen Geschwindigkeit blieben dem Piloten nur ungefähr sieben Minuten Zeit, um den kommunistischen Eindringling zum Abdrehen oder zur Landung zu zwingen, bevor er ihn abschießen musste.
Zuerst versuchte er es über Funk. Auf Koreanisch, dann in stockendem Chinesisch funkte er: »Unidentifiziertes Flugzeug hundertfünfundzwanzig Kilometer nordöstlich von Seoul, hier spricht der Pilot eines Abfangjägers der Luftwaffe der Republik Korea. Sie befinden sich in einem Sperrgebiet. Ich habe Sie in Sicht und bin darauf vorbereitet, Sie abzuschießen, wenn Sie nicht sofort auf Gegenkurs gehen. Ich warne Sie: Gehen Sie sofort auf Gegenkurs!« Keine Reaktion. Er wiederholte seinen Anruf auf den internationalen UHF-, VHF- und HF-Notfrequenzen und auf einigen bekannten nordkoreanischen Jägerfrequenzen, ohne eine Reaktion feststellen zu können.
Der F-16-Pilot und sein Rottenflieger, der ihm notfalls Feuerschutz geben würde, brauchten zwei Minuten, um sich neben das feindliche Flugzeug zu setzen. Zum Glück flog dort keine Angriffsformation, sondern nur eine einzelne Maschine. Der Eindringling war leicht anzusteuern, weil er mit eingeschalteten Positions- und Warnlichtern flog - und zur Verblüffung des südkoreanischen Piloten noch immer mit ausgefahrenem Fahrwerk und Spaltklappen in Startstellung! Kaum zu glauben, aber er war damit Hunderte von Kilometern weit geflogen. So verbrauchte er Unmengen Treibstoff, und bei über 300 Knoten Eigengeschwindigkeit wurden Fahrwerk und Klappen vermutlich bis zur Bruchgrenze beansprucht. In die linke Rumpfseite der F-16K der südkoreanischen Luftwaffe war ein starker Halogenscheinwerfer eingebaut, den der Pilot einschaltete, sobald er nahe genug heran war, um die Umrisse der anderen Maschine erkennen zu können.
»Saphir, hier Tiger eins, habe das feindliche Flugzeug in Sicht«, meldete der südkoreanische Pilot auf der abhörsicheren HAVE-QUICK-Frequenz. »Es scheint ein Jagdbomber A-5 Qian zu sein.«
Die A-5 war ein Jagdbomber aus chinesischer Produktion, ein 30
Jahre alter Nachbau des veralteten sowjetischen Jagdbombers Suchoi Su-7, der das Rückgrat der nordkoreanischen Luftwaffe bildete. »Konfiguration wie folgt: Einsitzer, ein Triebwerk, zylinderförmiger Rumpf mit kurzen Pfeilflügeln, großem Lufteinlass am Bug und kleinem Radarbug im Lufteinlass. Seitlich am Rumpf sehe ich das Hoheitsabzeichen der Volksrepublik Nordkorea, das Seitenleitwerk trägt die Buchstaben CH und die Zahl eins-eins-vier.«
Das »CH« war die Kennung des nordkoreanischen Jabo-Stütz-
punkts Ch'ongjin, auf dem große Mengen von chemischen Waffen und vielleicht auch Kernwaffen lagerten.
»Die A-5 trägt drei Außenlasten: einen Zusatztank unter dem Rumpf und je einen Zusatztank unter den Tragflächen.« Er richtete seinen Suchscheinwerfer auf die Außenlasten, holte erschrocken tief Luft und sprach mühsam beherrscht weiter. »Verbesserung, Saphir, Verbesserung. Unter den Tragflächen hängen keine Zusatztanks, ich wiederhole, keine Zusatztanks. Das scheinen Bomben, ich wiederhole, Bomben zu sein. Die Bombe unter der rechten Tragfläche trägt in der Mitte vier purpurrote Ringe.«
Das war die denkbar schlimmste Meldung. Die purpurroten Ringe, eine Standardmarkierung beim rotchinesischen und dem ehemaligen sowjetischen Militär, aus dessen Arsenal Nordkoreas Waffen stammten, kennzeichneten Atombomben. Dies waren Bomben des alten Typs Ji-214, die als Zusatztanks getarnt waren - Chinesen und Sowjets hatten sie manchmal sogar außerhalb von Sicherheitsbereichen gelagert, damit westliche Bildauswerter glauben sollten, sie seien keine Kernwaffen. Aber die Sprengkraft jedes dieser »Zusatztanks« entsprach 600 Kilotonnen TNT - mehr als genug, um Seoul oder jede andere Großstadt der Welt zu zerstören. Da sie als unzuverlässig galten, wurden sie paarweise abgeworfen; detonierte die erste Bombe, ging auch die zweite in ihrem Feuerball auf.
Danach herrschte gespanntes Schweigen, bis der Controller sich wieder meldete: »Tiger eins, hier Saphir, Sie erhalten Befehl, mit allen Mitteln zu versuchen, den Eindringling von Luftraum Bravo abzudrängen.« Der F-16-Pilot hörte die Stimme des Controllers vor Angst zittern. »Sie müssen verhindern, dass die feindliche Maschine näher als fünfzig Kilometer an den Luftraum Bravo herankommt,
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