Lautlose Jagd
einstündigen Flug in dem eiskalten Cockpit überstanden hatte, konnte sich niemand recht vorstellen. Seine Fliegerkombi trug kein Namensschild. Einige der anderen Aufnäher, darunter sein Pilotenabzeichen und die Flagge der Demokratischen Volksrepublik Nordkorea, waren teilweise abgerissen. Er musste im letzten Augenblick versucht haben, seine Identität oder sein Herkunftsland zu tarnen - oder er hatte sich ihrer geschämt.
Das unglaublichste Bild bot jedoch der Körper des Piloten. Er bestand nur aus Haut und Knochen, wog wahrscheinlich keine 50
Kilogramm. Seine Brust war eingesunken, die Rippen zeichneten sich erschreckend deutlich ab, und seine Haut war straff über die Knochen gespannt. Er sah wie ein KZ-Überlebender aus und war so abgemagert, dass die Spurensicherer vermuteten, er habe seit Wochen keine richtige Mahlzeit mehr bekommen. Der Tote wurde vom Absturzort zur Obduktion weggebracht.
Nicht einmal eine Stunde später entdeckten die Suchtrupps rasch nacheinander die Atombomben. Durch einen glücklichen Zufall war keine von ihnen zerstört. Der Mantel einer Bombe wies einen Riss auf, aus dem aber keine Radioaktivität austrat, und die basketballgroße Kugel aus spaltbarem Material war intakt. Die zweite Bombe war bis auf ihr abgerissenes Leitwerk und einige Beulen und Kratzer praktisch unbeschädigt. Die Bomben wurden sorgfältig in Bleibehältern verstaut und zu weiteren Untersuchungen abtransportiert.
Jetzt verfügte Südkorea über seine beiden ersten Atomwaffen.
Ohne dass es selbst oder der Rest der Welt schon etwas davon ahnte, würde das kleine Land nie mehr wie früher sein.
Unterausschuss für Militärtechnik
Streitkräfteausschuss des Senats,
Rayburn Building, Washington, D.C.
(Mehrere Wochen später)
»Ich hatte gehofft, wir würden in meinem Leben nicht wieder vor dieser Frage stehen«, sagte der Vorsitzende des Streitkräfteausschusses des Senats ernst. »Aber nun ist's doch so weit. Anscheinend kommt der Teufel zum Fest, und wir können nur hoffen, dass er uns nicht zum Tanz auffordert.«
Der offizielle Teil der an diesem Vormittag stattfindenden nicht-
öffentlichen Anhörung war vorbei; die Wissenschaftler und Controller hatten ihre Grafiken wieder mitgenommen und waren gegangen, sodass nur die Ausschussmitglieder, ihre engsten Mitarbeiter und einige Generale zurückblieben. Dies war die Debatte im Rahmen der Anhörung: eine freimütige Diskussion ohne Tabus, bei der die Generale die letzte Möglichkeit hatten, ihre Argumente vorzubringen. Dieser inoffizielle Gedankenaustausch war ungezwungener als die formelle Anhörung und gab allen Beteiligten Gelegenheit, ihre Frustrationen und Meinungen loszuwerden.
»Ich glaube, Senator«, antwortete General Victor G. Hayes, Chef des Führungsstabs der Luftwaffe, »dass uns nichts anderes übrig bleibt, als mit diesem Teufel zu tanzen. Die Frage ist nur, ob wir's schaffen, ihn daran zu hindern, die Bowle umzuwerfen -
oder zündet er den ganzen Saal an, wenn wir nicht bald etwas unternehmen?«
»Wollen Sie die Angriffe auf Taiwan und Guam etwa nur mit einer umgeworfenen Bowle vergleichen, General?«, fragte ein Ausschussmitglied.
General Hayes schüttelte den Kopf und ließ das Lächeln von seinem Gesicht verschwinden. Er wusste, dass es ein Fehler gewe -
sen wäre, mit den Ausschussmitgliedern ungezwungen oder kumpelhaft umgehen zu wollen, auch wenn sie sich manchmal sehr freimütig und schlicht gaben.
Dies war das erste Mal, dass Victor »Jester« Hayes vor irgendeinem Ausschuss von Repräsentantenhaus oder Senat ausgesagt hatte. Obwohl das Pentagon »Seminare zur Schulung des Charmes« veranstaltete, um hohe Offiziere für den Umgang mit Reportern, Politikern und Zivilisten unter verschiedenen Umständen -
auch bei Anhörungen im US-Kongress - auszubilden, war es völlig unmöglich, jemanden auf eine Tortur dieser Art vorzubereiten.
Er fühlte sich in dieser Umgebung höchst unwohl und war besorgt, man könnte ihm das anmerken. Sehr deutlich anmerken.
Neben Hayes saß Admiral George Balboa, der Vorsitzende der Vereinten Stabschefs. Auch die übrigen Mitglieder der Vereinten Stabschefs - General William Marshall, Chef des Generalstabs des Heeres, Admiral Wayne Conner, Chef der Operationsabteilung der Kriegsmarine und General Peter Traherne, Kommandant des Marinekorps - saßen mit ihren engsten Mitarbeitern am Tisch gegenüber dem Unterausschuss. Aus den Augenwinkeln heraus konnte Hayes auf einigen Gesichtern kaum verhohlene
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