Lautloses Duell
durcheinander geratene Dateien … Zuerst hielt ich sie für eine Art verschlüsselten Virus, aber sie stellten sich letztendlich doch einfach nur als Kauderwelsch heraus. Nirgendwo auf ihrer Kiste findet sich auch nur die Spur einer Software, die ihm den Zugang erlaubt hätte.«
Mit einem Seitenblick auf Bishop erklärte er: »Wissen Sie, ich könnte einen Virus in Ihren Computer laden, der mir erlaubt, im Root-Verzeichnis die absolute Kontrolle zu übernehmen und jederzeit wieder in ihn einzudringen, egal, von wo, egal, wann, und auch ohne Passwort. So etwas nennt man einen ›Backdoor‹-Virus – als würde man sich irgendwo durch die Hintertür ins Haus schleichen.
Damit so ein Virus arbeitet, muss ich aber irgendwie seine Software auf Ihren Computer laden und aktivieren. Ich könnte sie Ihnen als Anhängsel einer E-Mail schicken, und Sie aktivieren ihn ungewollt und ohne zu wissen, was Sie da getan haben, indem Sie das Attachment öffnen. Ich könnte aber auch auf herkömmliche Weise in Ihr Haus einbrechen, das Programm auf Ihrem Rechner installieren und es vor Ort aktivieren. In diesem Fall entstehen jedoch Dutzende kleinerer Dateien, die sich überall in Ihrem Betriebsprogramm festsetzen, um das Funktionieren des Virus zu ermöglichen. Außerdem bleibt irgendwo auf Ihrer Maschine eine Kopie des ursprünglichen Virus erhalten.«
Er zuckte die Achseln. »Hier kann ich nicht die kleinste Spur solcher Dateien entdecken. Nein, er muss auf irgendeine andere Weise gerootet haben.«
Der Hacker ist ein begabter Redner, dachte Anderson. Seine Augen glitzerten, eine ansteckende Begeisterung, die er schon bei so vielen jungen Geeks gesehen hatte – auch bei jenen, die vor Gericht saßen und sich mit der begeisterten Beschreibung ihrer Heldentaten bei Richter und Geschworenen um Kopf und Kragen redeten.
»Woher wollen Sie dann wissen, dass er überhaupt gerootet hat?«, wollte Linda Sanchez wissen.
»Ich habe diesen Two-Liner zusammengehackt.« Er reichte Anderson eine Diskette.
»Was macht dieses Programm?«, fragte Nolan, deren professionelle Neugier – wie bei Anderson – inzwischen geweckt war.
»Sie heißt detective.exe. Sie sucht nach Sachen, die nicht in einem Rechner sind.« Für die Nicht-CCU-Cops holte er mit einem Verweis auf die Diskette weiter aus: »Wenn Ihr Computer läuft, lagert das Betriebssystem – also Windows oder etwas dergleichen – einen Teil der Programme, die es braucht, irgendwo auf der Festplatte aus, aber nicht an einer einzigen Stelle, sondern überall verstreut. Es gibt jedoch Muster dafür, wo und wann diese Dateien gelagert werden.« Er zeigte auf die Diskette und sagte: »Das hier zeigte mir an, dass viele dieser Programmteile in bestimmte Segmente der Festplatte geschoben wurden, damit jemand von außerhalb die Festplatte aus der Ferne durchsuchen konnte.«
Shelton schüttelte verwirrt den Kopf, aber Frank Bishop sagte: »Sie meinen, so wie man weiß, dass ein Einbrecher in der Wohnung gewesen ist, weil die Möbel verrückt und nicht an den gewohnten Platz zurückgeschoben wurden. Auch wenn der Einbrecher längst weg ist, wenn man nach Hause kommt.«
Gillette nickte. »Genau.«
Andy Anderson – auf gewissen Gebieten ebenso ein Wizard wie Gillette –, wog die Diskette in der Hand. Er musste zugeben, dass er beeindruckt war. Als ihm die Idee kam, Gillette zur Mithilfe zu gewinnen, hatte er sich einige von Gillette verfasste Scripts angesehen, die die Staatsanwaltschaft in der Verhandlung als Beweismittel gegen ihn angeführt hatte. Nachdem er diesen wirklich genialen Zeilen-Quellcode näher in Augenschein genommen hatte, waren Anderson zwei Gedanken durch den Kopf gegangen. Der Erste war, dass wenn jemand herausbekam, wie der Täter in Lara Gibsons Computer gelangt war, dann Gillette.
Der Zweite bestand aus blanker, schmerzhafter Eifersucht auf das Können des jungen Mannes. Es gab Zehntausende von Codepunchers auf der Welt – Leute, die ohne Anstrengung kompakte, effektive Software für gewöhnliche Aufgaben produzierten –, und vielleicht noch mal so viele Script Bunnies, wie die Kids genannt wurden, die überaus kreative, aber schwerfällige und letztendlich nutzlose Programme schrieben, weil sie einfach Spaß daran hatten. Doch es gab nur sehr wenige Programmierer, die sich sowohl ein elegantes und somit unter Fachleuten als brillant eingeschätztes Script vorstellen konnten, als auch über die Fähigkeit verfügten, so eine Software zu schreiben. Wyatt Gillette
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