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Lautloses Duell

Titel: Lautloses Duell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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den Festwagen für die Parade zum Schuljahresbeginn mit.
    Genau wie alle anderen auch.
    Er saß in Susan Coynes Küche, fummelte unter ihrer Bluse herum und küsste ihre Zahnspange. Er und Billy Pickford holten heimlich die Oldtimer-Corvette seines Vaters aus der Garage, bretterten mit hundertsiebzig Sachen über die Autobahn und bauten anschließend zu Hause den Tacho aus, um ihn wieder zurückzudrehen.
    Er war manchmal glücklich, manchmal bedrückt, manchmal ausgelassen.
    Genau wie alle anderen auch.
    Im Alter von siebzehn Jahren modellierte sich John Holloway zu einem der normalsten und beliebtesten Schüler der Schule.
    Er war tatsächlich so beliebt, dass die Beerdigung seiner Eltern und seines Bruders eine der größten in der Geschichte des kleinen Städtchens in New Jersey war, in dem sie gewohnt hatten. (Freunde der Familie hielten es für ein wahres Wunder, dass der junge Jon ausgerechnet an diesem frühen Samstagvormittag, an dem die tragische Gasexplosion seine Familie tötete, seinen Computer zur Reparatur brachte.)
    Jon Holloway hatte sich sein Leben betrachtet und war zu dem Schluss gekommen, dass Gott und seine Eltern ihn dermaßen versaut hatten, dass er das Leben nur meistern konnte, wenn er es als ein einziges großes MUDGame betrachtete.
    Und jetzt spielte er wieder.
    Wer möchtest du sein?
    Im Keller seines adretten Vorstadthäuschens wusch Phate das Blut von seinem Messer und schärfte anschließend die Klinge, erfreute sich am metallischen Zischen der Klinge am Schleifstahl, den er bei einem Versandhaus bestellt hatte.
    Es war das Messer, mit dem er das Herz einer der wichtigsten Figuren in diesem Spiel gekitzelt hatte – das Herz von Andy Anderson.
    Zisch, zisch, zisch …
    Eine staubige Schicht metallenen Abriebs klebte an der Klinge. Das dunkle Militärmesser – aus Eisen, nicht aus rostfreiem Stahl – hatte sich magnetisiert. Phate hielt inne und musterte die Waffe genau. Ein interessanter Gedanke ging ihm durch den Kopf: Computerdisketten waren mit einem magnetischen Film von Eisenpartikeln beschichtet, genau wie die Späne vor ihm. Daten werden von einem Computer durch Magnetismus auf Disketten gespeichert und von Disketten gelesen. Es war, als wäre Andy Anderson von einem wichtigen Prinzip der Computerphysik getötet worden; auf die gleiche Weise, wie eine Diskette in einen Computer eindringt und ihn mittels eines Virus’ zerstört, war das Messer in sein Herz eingedrungen und hatte es ausgelöscht.
    Zugriff …
    Während er das Messer noch am Stein abwischte, rief sich Phates perfektes Gedächtnis einen Absatz des Artikels
Leben im Blauen Nichts
in Erinnerung, den er sich in eine seiner Hacking-Kladden notiert hatte.
    Die Grenze zwischen der realen Welt und der Maschinenwelt verwischt sich jeden Tag mehr. Das heißt nicht, dass wir uns in Automaten verwandeln oder Sklaven der Maschinen werden. Nein, wir entwickeln uns beide aufeinander zu. Wir züchten Maschinen nach unseren Bedürfnissen und nach unserem Ebenbild – so wie wir es mit der Natur, der Umwelt und den früheren Technologien auch getan haben. Im Blauen Nichts übernehmen Maschinen unsere Persönlichkeit und unsere Kultur, unsere Sprache, unsere Mythen, Metaphern, unsere Philosophie und unsere Seele.
    Unsere Persönlichkeiten und unsere Kultur werden wiederum mehr und mehr von der Maschinenwelt verändert.
    Ich denke an den Einzelgänger, der noch vor kurzem von der Arbeit nach Hause gekommen ist und den Abend damit verbracht hat, vor dem Fernseher zu sitzen und Junkfood zu vertilgen. Heute schaltet er seinen Computer an und spaziert durch das Blaue Nichts. Einen Ort, an dem er interagiert: Er hat die taktile Stimulation seiner Tastatur, er hat verbalen Austausch, er ist herausgefordert. Er kann nicht mehr passiv sein. Um Reaktionen zu erhalten, muss er Input liefern. Er hat eine höhere Stufe der Existenz erklommen, und der Grund dafür ist der, dass die Maschinen zu ihm gekommen sind. Sie sprechen seine Sprache.
    Ob nun zum Guten oder zum Schlechten, die Maschinen spiegeln das menschliche Bewusstsein wider – auch das fehlende menschliche Bewusstsein.
    Phate war mit dem Schleifen des Messers fertig und wischte die Klinge sauber, legte es auf die Kiste zurück und ging wieder nach oben, wo er feststellen durfte, dass seine Steuergelder gut angelegt waren: Der Supercomputer der Regierung hatte den Passcode zu den Toren der St. Francis Academy inzwischen ausgespuckt. Also konnte er heute Abend sein Spiel weiter

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