Lautloses Duell
ist jetzt zwölf Jahre alt und braucht immer noch einen verdammten Schnuller«, hörte Phate einmal seinen Vater bezüglich des neuen IBM-Rechners zu seiner Mutter sagen.)
Seine Tage auf der High School verliefen meist so, dass er den Unterricht über sich ergehen ließ, gegen drei Uhr nach Hause rannte, in seinem Zimmer verschwand und sich in Online-Foren einklinkte, die Schaltungen der Telefongesellschaft knackte oder sich in die National Science Foundation, die Staatliche Seuchenbehörde, das Pentagon, Los Alamos, Harvard oder das Schweizer Forschungsinstitut CERN einschlich. Seine Eltern wägten die monatliche Telefonrechnung von achthundert Dollar gegen die Alternative ab – Fehlzeiten im Büro und Endlosgespräche mit Lehrern und Tutoren –, und kamen zu dem Schluss, dass sie die Forderungen der Telefongesellschaft mit Freuden beglichen.
Trotzdem ließ sich nicht übersehen, dass es mit dem Jungen bergab ging. Er wurde immer eigenbrötlerischer, hatte Blackouts und bekam Wutausbrüche, sobald er nicht online war.
Aber bevor er völlig ausklinkte, wie er es damals bezeichnete, und mit Hilfe eines Giftes, dessen Rezept er sich aus dem Netz heruntergeladen hatte, »einen Sokrates hinlegte«, passierte etwas.
Der Sechzehnjährige stolperte über eine Newsgroup, in der ein MUDGame gespielt wurde, Ritter auf der Suche nach einem magischen Schwert oder Ring, irgendetwas in der Art. Er schaute eine Zeit lang zu und tippte dann schüchtern: »Darf ich mitspielen?«
Einer der altgedienten Spieler begrüßte ihn herzlich und fragte ihn dann: »Wer möchtest du sein?«
Jon entschied sich für einen Ritter, zog stolz und glücklich mit seinen Gefährten los und tötete in den folgenden acht Stunden haufenweise Orks und Drachen und feindliche Soldaten. In jener Nacht, als er im Bett lag, nachdem er sich von den Mitspielern verabschiedet hatte, ließ ihn ein Gedanke nicht mehr los: Er musste nicht mehr Jon, der Schlaukopf, er musste nicht mehr Mr. Wizard sein. Den ganzen Tag war er ein Ritter im sagenhaften Land Cyrania gewesen – und er war glücklich gewesen. Vielleicht konnte er ja auch in der wirklichen Welt ein anderer sein.
Wer möchtest du sein?
Am folgenden Tag schrieb er sich in der Schule bei einer AG ein, etwas, was er noch nie zuvor getan hatte. Er meldete sich beim Schauspielkurs an. Zuerst ging er langsam und unsicher zu Werke, machte jedoch schon bald die Erfahrung, dass er eine natürliche Begabung zum Schauspielern besaß. Sein anderes Leben in jener Schule verbesserte sich nicht – dazu gab es zu viel böses Blut zwischen Jon und seinen Lehrern und Mitschülern –, aber es machte ihm nichts mehr aus. Er hatte einen Plan. Am Ende des Halbjahres fragte er seine Eltern, ob sie ihn zum nächsten Schuljahr noch einmal bei einer anderen Schule anmelden würden. Da er auch die neue Schule selbstständig mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen konnte und der Wechsel ihr Leben nicht beeinträchtigte, stimmten sie zu.
Und so befand sich im folgenden Herbst unter den eifrigen Schülern, die sich für die Kurse an der Thomas Jefferson High School für Hochbegabte in Saddlebrook, New Jersey, einschrieben, ein besonders eifriger junger Mann namens Jon Patrick Holloway.
Die Lehrer und Studienberater schauten die Urkunden durch, die ihnen von seinen früheren Schulen zugestellt worden waren– die Kopien, die Zeugnis von seinen guten bis sehr guten Leistungen in sämtlichen Schuljahren seit dem Kindergarten ablegten, die enthusiastischen Berichte der Vertrauenslehrer, die das Verhalten des vorbildlich angepassten und sozial verträglichen Kindes lobten, seine hervorragenden Jahreszeugnisse sowie mehrere Empfehlungsschreiben von ehemaligen Lehrern. Das persönliche Gespräch mit dem höflichen jungen Mann, der in seiner dunklen Hose, dem hellblauen Hemd und dem dunkelblauen Sakko einen hervorragenden Eindruck hinterließ, war eine reine Formalität. Man hieß ihn an der Schule herzlich willkommen.
Ja, ab und zu hatte er einige Probleme mit seinen Noten, aber er erledigte seine Hausaufgaben zuverlässig und bewegte sich (wie die meisten anderen Schüler auf der Tom Jefferson) auf einer soliden Basis aus Zweien und Einsen. Er belegte mehrere Sportkurse und trainierte gewissenhaft. Er saß mit der angesagten Clique auf dem Hügel außerhalb des Schulgebäudes, schmuggelte Zigaretten herein und machte sich über die Geeks und die Versager lustig.
Er verabredete sich mit Mädchen, ging tanzen und arbeitete an
Weitere Kostenlose Bücher