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Lautstärke beweist gar nichts - respektlose Wahrheiten

Lautstärke beweist gar nichts - respektlose Wahrheiten

Titel: Lautstärke beweist gar nichts - respektlose Wahrheiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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gekommen war: Ich wollte ein paar »Sachen« schreiben, sie dem Redakteur des Republican hinbringen und ihn bitten, mir seine offene, ungeschminkte Meinung über ihren Wert zu sagen!
    Nun, so alt und abgedroschen die Idee auch war, mir warsie neu und schön, und sie fuhr mir wie der wahre Blitz und Donner der Originalität brennend und krachend durch die Glieder. Ich schrieb die Sachen. Ich schrieb sie mit jener gelassenen Zuversicht und jener unbekümmerten Leichtigkeit, die nur bei fehlender Übung und mangelnder literarischer Erfahrung anzutreffen sind. Es gab nicht einen einzigen Satz darin, den zu überlegen, zu bilden, zurechtzustutzen und endgültig zu formulieren ich eine halbe Stunde gebraucht hätte. Tatsächlich ist es möglich, dass es nicht einen einzigen Satz gab, dessen Abfassung mich auch nur ein Sechstel der Zeit gekostet hätte. Wenn ich mich recht erinnere, gab es in dem ganzen reinen Manuskript nicht eine einzige Stelle, wo ich radiert oder darübergeschrieben hätte. (Inzwischen habe ich den starken Glauben an meine Fähigkeiten und auch diese wunderbare Vollkommenheit der Ausführung verloren.) Ich ging also los zur Redaktion des Republican , die Tasche voller Manuskripte, den Kopf voller Träume und eine großartige Zukunft vor mir. Ich wusste sehr genau, dass der Redakteur von meinen Sachen begeistert sein würde. Doch wenig später …
    Die Einzelheiten spielen allerdings keine Rolle. Ich wollte nur sagen, dass sich gerade jetzt ein schattenartiger Zweifel in meine gehobene Stimmung schlich. Ein anderer kam hinzu und noch einer. Sehr bald eine ganze Prozession von Zweifeln. Und als ich endlich vor der Redaktion des Republican stand und die hohe, fühllose Fassadehinaufblickte, da konnte ich mir kaum denken, dass ich derjenige war, der vor zehn Minuten noch diese Burg dreist herausgefordert hätte und nun so klein und jämmerlich dastand, dass er, wenn er vermessen auf das Fußabstreichgitter träte, wahrscheinlich hindurchfallen würde.
    Zu ungefähr diesem entscheidenden Zeitpunkt kam der Redakteur, genau der Mann, dessen Rat ich einholen wollte, die Treppe herunter, hielt einen Moment an, um an seinen Manschetten zu ziehen und den Rock zu richten, und bemerkte zufällig, dass ich ihn nachdenklich betrachtete. Er fragte mich, was ich wünsche. Ich antwortete: »Nichts!« – mit jungenhafter Demut und Beschämung; und während ich den Blick senkte, kroch ich kleinlaut davon, bis ich draußen in der Seitenstraße war, atmete dann tief und dankbar auf, nahm die Beine in die Hand und rannte davon!
    Ich hatte genug. Ich wollte nichts mehr. Das war mein erster Versuch, die »offene, ungeschminkte Meinung« eines Literaten über meine Werke zu erfahren, und der hat mir bis heute ausgereicht. Und wenn ich jetzt in diesen Tagen ein Bündel Manuskripte mit der Post erhalte, mit dem Ersuchen, ein Urteil über deren Güte zu fällen, dann möchte ich dem Verfasser am liebsten sagen: »Wenn Sie Ihre Sachen nur zu einem grimmigen, stattlichen Redaktionsgebäude gebracht hätten, wo Sie keinen Menschen kannten, dann hätten Sie keine so hohe Meinung von Ihren Ergüssen, wie Sie – das sieht man deutlich – sie jetzt haben.«
    Jedermann, der Zeitungs- oder Zeitschriftenredakteur wird, erhält sofort Manuskripte von literarischen Bewerbern zugesandt und wird gleichzeitig gebeten, sein Urteil über sie abzugeben; und nachdem er in acht oder zehn Fällen dem Wunsche entsprochen hat, nimmt er schließlich zu einer allgemeinen Predigt über dieses Thema Zuflucht, die er in seinem Blatt veröffentlicht, und dann verweist er solche Korrespondenten immer auf diese Predigt als Antwort. Diesen Punkt habe ich endlich in meiner literarischen Laufbahn erreicht. Ich höre nun auf, den Ratsuchenden privatim zu erwidern, und gehe dazu über, meine öffentlichen Predigten abzufassen.
    Da alle Briefe der Art, von der ich spreche, genau denselben Inhalt besitzen, nur anders formuliert, unterbreite ich als gutes Durchschnittsbeispiel den letzten, den ich erhielt:
    Mark Twain, Esq.
    3. Okt. …
    Sehr geehrter Herr!
    Ich bin ein Jüngling, gerade mit der Schule fertig und bereit, ins Leben zu treten. Ich habe mich umgesehen, finde aber nichts, was mir so recht zusagt. Ist eine literarische Laufbahn leicht und einträglich, oder ist es das harte Leben, als das es im Allgemeinen hingestellt wird? Diese Laufbahn muss leichter sein als eine große Anzahl, wenn nichtdie meisten anderen Berufe, und ich bin geneigt, diesen Weg

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