Lautstärke beweist gar nichts - respektlose Wahrheiten

Unabhängigkeit: Unabhängigkeit des Denkens, Unabhängigkeit der Meinung, Unabhängigkeit des Handelns. Eine andere lautet, die Welt liebe es, Unabhängigkeit zu erleben – bewundere sie, beklatsche sie. Eine dritte, es gebe in der Welt so etwas wie Toleranz – in der Religion, in der Politik und dergleichen; und mit ihr geht die bereits erwähnte Behelfslüge einher, Toleranz werde bewundert und beklatscht. Jede dieser Stammlügen bringt viele Astlügen hervor: nämlich die Lüge, nicht alle Menschen seien Sklaven; die Lüge, Menschen seien froh, wenn andere Menschen Erfolg haben; froh, wenn sie gedeihen; froh, sie in große Höhen aufsteigen zu sehen; traurig, sie wieder fallen zu sehen.
    Es gibt zwei verschiedene, zwei getrennte Arten christlicher Moral, so verschieden, so getrennt, so unverbunden, dass sie nicht näher miteinander verwandt sind als Erzengel und Politiker. Die eine Art ist die private christliche Moral, die andere die öffentliche christliche Moral. An 363 Tagen im Jahr bleibt der amerikanische Bürger seiner privaten christlichen Moral treu und hält den Charakter der Nation unbefleckt und in höchsten Ehren; dann, an den beiden anderen Tagen des Jahres, lässt er seine private christliche Moral daheim, trägt seine öffentliche christliche Moral zum Finanzamt und zur Wahlurne und tut sein Bestes, um den Wert seiner Gläubigkeit und Rechtschaffenheitdes übrigen Jahres zu beeinträchtigen und zunichtezumachen.
    Wie wenig Mühe es kostet, sich eine Lüge anzuerziehen und an sie zu glauben, wenn man nur die allgemeine Tendenz erkennt, dass sie volkstümlich ist.
    Das sittliche Gefühl lehrt uns, was das Rechte ist und wie man ihm aus dem Weg geht – wenn es nicht gern gesehen wird ist.
    Wenn wir lernen wollen, was das menschliche Geschlecht, bei Licht betrachtet, wirklich ist , brauchen wir es nur in der Wahlzeit zu beobachten.
    Jedes Jahr hilft der amerikanische Bürger in einer Reihe von Städten und Staaten dabei, korrupte Männer in Ämter zu hieven, jedes Jahr hilft er, die Korruption immer weiter zu verbreiten; Jahr für Jahr lässt er das politische Leben des Landes allmählich verrotten, während er, wenn er seine öffentliche christliche Moral wegwerfen und seine private christliche Moral zur Wahlurne tragen würde, den Staatsdienst unverzüglich säubern und die Bekleidung eines Amteszu einer hohen und ehrenvollen Auszeichnung machen könnte, begehrt von den besten Männern, die das Land zu bieten hat. Jetzt aber – nun, jetzt betrachtet er sein unpatriotisches Wirken und seufzt und trauert und beschuldigt jeden außer dem Richtigen – sich selbst.
    Wenn Parteiloyalität eine Form des Patriotismus ist, dann bin ich kein Patriot, und für einen solchen halte ich mich ohnehin nicht unbedingt, denn was die große Masse der Amerikaner als patriotischen Kurs betrachtet, stimmt in der Mehrzahl der Fälle mit meinen Ansichten nicht überein; wenn es irgendeinen nützlichen Unterschied zwischen einem Amerikaner und einem Monarchisten gibt, so liege er in der Theorie, dass der Amerikaner selbst entscheiden kann, was patriotisch ist und was nicht; wohingegen ein König dem Monarchisten seinen Patriotismus vorschreiben kann – eine Entscheidung, die end gültig ist und vom Opfer akzeptiert werden muss; meiner Überzeugung nach bin ich unter sechzig Millionen – den sechzig Millionen mit dem Kongress und der Regierung im Rücken – der einzige Mensch, der dazu privilegiert ist, mir meinen eigenen Patriotismus zu konstruieren.
    Wenn das Land in einen Krieg eintritt und ich der Auffassung wäre, dass es sich um einen ungerechten Krieg handelt, würde ich das sagen. Wenn ich aufgefordert würde, für diese Sache das Gewehr zu schultern und unter dieserFlagge zu marschieren, würde ich mich weigern. Ich würde nicht freiwillig unter der Flagge dieses oder irgendeines anderen Landes marschieren, wenn das Land meinem persönlichen Urteil nach im Unrecht ist. Wenn das Land mich zwingen würde, das Gewehr zu schultern, könnte ich nichts daran ändern, aber ich würde mich niemals freiwillig melden. Mich freiwillig zu melden wäre Verrat an mir selbst und folglich Verrat an meinem Land. Sollte ich mich nicht freiwillig melden, würde man mich einen Verräter nennen , dessen bin ich mir wohl bewusst – aber deswegen wäre ich noch lange kein Verräter. Der einstimmige Beschluss von sechzig Millionen könnte mich nicht zum Verräter stempeln. Ich wäre noch immer Patriot, meiner Meinung nach der