Lavendel gegen Ameisen
«Ich träume das alles nur …» Dann gab sie sich einen Ruck. «Ja, natürlich will ich den sehen!»
Selbstverständlich suchten sie in erster Linie nach der Tatwaffe und den Turnschuhen, nach blutiger Kleidung möglicherweise auch. Aber es mochte auch noch andere Hinweise auf die Tat und das Motiv geben, an die sie noch gar nicht gedacht hatten.
Toppe fand sich in Hermans’ Arbeitszimmer unter dem Dach wieder. Ein wunderschöner hoher Raum mit Balken und einem großen Giebelfenster. An beiden Längsseiten standen offene Bücherregale aus Kiefernholz. Toppe ging an den Buchreihen entlang, viele Theaterstücke, viel Literatur über das Theater, Bücher über Sport, dazwischen irgendwo auch «The Loneliness of the Long Distance Runner». An den Regalbrettern waren weiße Schildchen angebracht, sauber beschriftet. «Franz. Rev.», las Toppe, «1848» und auf der anderen Seite des Zimmers «Belletristik», «Lyrik», «Klassik».
Auch Hermans hatte schöne Gesamtausgaben der Klassiker. Toppe schaute genauer hin. Ein kompletter Goethe, Kleist, auch hier Nietzsche und auch hier kein Schiller. Welch bemerkenswerter Zufall.
Er drehte sich um und nahm die Atmosphäre in sich auf.
Eine schwindsüchtige Morgensonne warf ihr fahles Licht auf einen alten Bauerntisch, der vor dem Giebelfenster stand, Hermans’ Schreibtisch. Ordentlich gestapelte Hefte, Klassenarbeiten, Fachbücher mit Zettelchen darin, ein Tischkalender. Toppe blätterte ihn oberflächlich durch: 14. Juli – nichts. 18. August – nichts. Er steckte ihn ein.
Auf der Schreibtischunterlage lag ein kleines, offensichtlich selbstgebasteltes Album. «Happy Birthday» stand auf dem Umschlag, jeder Buchstabe in einer anderen Farbe gemalt. Innen vier Fotos, eines von Frau Hermans, eins von dem Mädchen, das die Tür geöffnet hatte. Auf der nächsten Doppelseite links die Aufnahme eines Jungen, der nicht viel älter sein konnte als das Mädchen, und rechts ein Ultraschallfoto, für Toppe ein Buch mit sieben Siegeln.
Er öffnete die einzige Schublade in der Mitte des Tisches. Alles ganz ordentlich, Papiertaschentücher, ein Lineal, Büroklammern, drei abgelaufene Lehrerkalender, die er herausnahm, ein Päckchen Traubenzucker, Kondome. Kondome? Die waren doch wohl im Moment überflüssig. Toppe nahm das Päckchen heraus, es fehlten zwei. Interessant, aber vielleicht hatte er die ja schon länger. Schreibmaschinenpapier, ein leeres Ringbuch, ein Locher. Das war alles. Keine Briefe, keine persönliche Zeile.
Unten im Haus kam es zu einem lauten Wortwechsel, dann hörte er Schritte auf der Treppe.
Hermans stieß die Tür auf.
Er war aschfahl im Gesicht und hatte beide Hände, zu Fäusten geballt, an seine nackten, dünnen Beine gepresst. Er trug Shorts, ein schweißgetränktes T-Shirt und ganz normale Puma-Schuhe.
«Was ist hier los?», stieß er zwischen den Zähnen hervor.
Er hatte immer noch keine Kontrolle über seine Hände.
«Guten Morgen, Herr Dr. Hermans», grüßte Toppe ruhig.
«Was ist hier los?», fragte Hermans wieder, diesmal viel lauter.
«Sie stehen unter Verdacht, Herrn Landmann getötet zu haben, Herr Hermans. Wir führen soeben eine Hausdurchsuchung durch.» Toppe blieb ganz kühl.
«Sind Sie wahnsinnig?»
«Nein.»
Stumm stand Hermans in der Tür und starrte Toppe an. Dann plötzlich, schon im Umdrehen, zischte er: «Machen Sie Ihre verdammte Durchsuchung, und dann verschwinden Sie so schnell wie möglich.»
Toppe folgte ihm langsam. In diesem Zimmer würde er nichts finden. Möglichkeiten, ein Brecheisen oder ein Paar Schuhe zu verstecken, gab es hier nicht.
Die ganze Aktion dauerte fast bis elf Uhr.
Familie Hermans hatte, bis auf die Zeit, in der Berns und van Gemmern dort herumhantiert hatten, still und bleich in der Küche gesessen.
Toppe steckte den Kopf zur Tür herein. «Wir gehen jetzt. Vielen Dank für Ihr Verständnis», sagte er steif.
Keiner antwortete ihm, nur die beiden Kinder sahen ihn an.
Astrid Steendijk stand hinter ihm. «Na, dann.» Sie ging vor ihm her die Stufen hinunter.
«Gucken Sie mal, der Lavendel blüht immer noch», sagte sie leise und zeigte auf die kleinen Pflanzen an der Hausecke.
Toppe nickte nur.
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Zweiundwanzig
«Nichts haben wir gefunden, gar nichts.» Toppe klang wütend und deprimiert.
«Sie sollten den Mann vielleicht ein wenig härter anfassen, Herr Toppe», schlug Dr. Stein vor, aber Toppe winkte nur müde ab.
«Härte bringt bei dem gar nichts. Da
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