Lavendel und Blütenstaub
stimmt. Ich habe mir eine gute Frau gewünscht, und ich habe deine Mutter. Ich wollte glücklich sein, und das bin ich. Ich wollte gesunde Kinder haben, und auch das ist so geschehen. Versuche es, und du wirst sehen, wie stark unsere Wünsche sein können, wenn man sie richtig festhält. Deshalb gebe ich dir dieses Buch. Achte darauf."
Johann hatte von nun an fortwährend in seinem Leben seine Wünsche in dieses Buch eingetragen. Von Zeit zu Zeit hatte er dann die Seiten geblättert und die erfüllten Wünsche abgehakt. Oft waren es Kleinigkeiten gewesen. Kleine, vorsichtig formulierte Wünsche, die dann in Erfüllung gingen, wie zum Beispiel ein Fußball, der in einem Straßengraben lag, den sich Johann eine Woche zuvor gewünscht hatte.
Anna lächelte, als sie die kleinen Häkchen neben den Wünschen sah. Den Vater als Vorbild genommen, hatte Johann zuerst die gleichen Wünsche formuliert wie er. Er wünschte sich eine liebevolle Frau, wollte eine glückliche Ehe und gesunde Kinder bekommen. Naja, fast war es so eingetreten. Valerie war zwar gestorben, aber dafür hatten sie Stella, den kleinen Stern, bemerkte Anna.
Nach Johanns Tod hatte Anna seine Wunschliste bearbeitet. Einige Häkchen waren dazu gekommen, andere Wünsche blieben offen, doch für Anna war es in Ordnung. Sie wusste, er hatte in seinem Leben viel erreicht, mehr Zeit war ihm nicht vergönnt gewesen. Ein eigener Porsche wäre zudem zu viel des Guten gewesen. Sie lächelte.
Anna nahm einen Stift und blätterte vor auf die erste unbeschriebene Seite. Wort für Wort begann sie, ihre Wünsche niederzuschreiben und hoffte, dass die Zeit noch reichen würde.
Der Wind rauschte durch die Blätter des Nussbaumes. Intensive Düfte wehten zu ihr und blieben an ihr haften. Sie saß auf der Bank und starrte geradeaus auf die Hecke. Sie wirkte dicht und unüberwindbar, wäre da nicht dieses kleine Loch gewesen.
Nun, da sie um dieses Loch wusste, fühlte sie eine Unruhe in ihr. Sollte sie es verschließen? Was, wenn eines der Urenkel das Loch fand und hindurchschlüpfte? Und dann geradewegs in den Bach hineinfiel?
Doch wenn sie es verschloss, dann konnte der Junge nicht herein. Justus. Er war ausgesperrt und sie würde nicht mehr mit ihm sprechen können.
Unschlüssig saß sie unter dem Baum. Sie knetete ihre Finger und starrte immer noch auf die Hecke. Neben ihr regte es sich. Sie drehte den Kopf.
"Ist es in Ordnung, wenn ich hereinkomme?"
Der blonde Junge mit den blauen Augen stand neben ihr. Er war barfuß, mit einer kurzen Hose und einem hellbraunen, fleckigen Hemd bekleidet. In den Haaren hingen ein paar Blätter und kleine Zweige.
Sie starrte den Jungen an. "Justus", flüsterte sie. "Du bist es wirklich." Sie schlug die Hände vor den Mund.
"Aber klar bin ich es! Was dachtest du denn, Schwesterchen?"
"Aber ... wieso ..."
"Wieso ich hier bin?" Er lächelte verschmitzt und unschuldig.
Sie nickte.
"Na, weil ich da durch bin." Er wies auf das Loch im Zaun.
"Nein, ich meine ..." Sie atmete tief durch. "Wie kommt es, dass ich von dir träume? Warum jetzt, nach so vielen Jahren?"
Er zuckte die Schultern. "Vielleicht, weil du erst jetzt bereit bist."
"Bereit wofür?"
"Na, für mich, du Dummerchen!"
Und dann lachte er sein lautes, fröhliches Lachen, das den ganzen Garten in Schwingungen zu versetzen schien.
Aurelia
Eine Woche später.
"Nun kommt schon. Beeilt euch."
"Nein, nein, NEIN!" Sebastian stampfte trotzig mit dem Fuß auf.
"Immer das gleiche Theater", murmelte Aurelia und stand wieder einmal mit den Schuhen in der Hand im Flur.
"Papa soll Schuhe anziehen!", schrie auch Marina kräftig mit.
"Papa ist aber nicht da", erklärte Aurelia, wohl zum hundertsten Mal.
"Dann nicht wegfahren", kreischte Marina und verschränkte ihre kurzen Ärmchen.
"In Ordnung, dann fahre ich eben allein zu Uromi." Aurelia war im Begriff die Autoschlüssel zu nehmen und zur Türe zu gehen.
"Nein, Mama!", rief Marina.
"Warte!", überlegte es sich auch Sebastian. "Wir wollen mitfahren!"
Aurelia seufzte erleichtert und half Marina in die Schuhe.
Ohne weiteres Gezeter ließen sich die Kinder ins Auto verfrachten und anschnallen. Aurelia hatte Stella Bescheid gegeben, dass sie kommen würden. Christopher musste wieder einmal arbeiten. Die Hitze war immer noch drückend und die Zahl der Einsätze hoch.
Nach kurzer Fahrzeit im angenehm klimatisierten Auto erreichte sie das Haus ihrer Oma und parkte in der Einfahrt. Ihr Blick wanderte über
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