Lavendel und Blütenstaub
die Fassade mit ihren weißen Fenstern und den Efeuranken neben der Haustüre.
Seit Aurelia denken konnte, sah das Haus schon so aus. Es war hübsch und schlicht, aber mittlerweile in die Jahre gekommen. Trotz ihres Alters hatte Anna sich immer bemüht, das Haus gut aussehen zu lassen und in Schuss zu halten, auch wenn die Handgriffe beschwerlicher und der Rücken geplagter geworden waren. Vor allem in den letzten Jahren war ihr dies schon sehr schwer gefallen, wusste Aurelia. Der Großvater, der Mann im Haus, war eine große Hilfe zu Hause gewesen.
Als Johann starb, war Aurelia erst dreizehn Jahre alt gewesen. Alt genug, um zu wissen, dass zuvor etwas zwischen ihrem Vater und ihren Großeltern vorgefallen war. Der Kontakt war in den zwei Jahren vor Opas Tod fast weg gewesen. Hin und wieder hatte Aurelia ihren Vater allerdings überreden können, dass sie ihre Oma besuchen durfte. Anna hatte ihren Groll nie an dem Mädchen ausgelassen, da sie ja am wenigsten dafür konnte. Dafür war ihr Aurelia dankbar.
"Hallo Oma! Hy Tantchen!", rief Aurelia, als sie mit den Kindern im Schlepptau das Haus betrat.
Im Flur war es ruhig. Sie rief noch einmal.
Stella kam die Treppe herunter. Sie sah erschöpft aus und strich sich die blonden Locken hinter die Ohren. "Oh, hallo! Ich hab euch gar nicht gehört." Sie küsste Aurelia auf die Wange.
"Du siehst müde aus. Alles in Ordnung?"
Stella blickte die Treppe hinauf und schüttelte den Kopf. "Ihr geht es wieder schlechter, aber im Moment schläft sie. Kommt rein in die Küche."
Stella und Aurelia machten sich Kaffee, die Kinder liefen nach draußen in den Garten.
"Seit wann geht es ihr schlechter?"
"Diese Woche ging es eigentlich recht gut. Hin und wieder hatte sie Schmerzattacken, aber die wurden rasch besser, wenn ich ihr ein Schmerzmittel gab. Aber seit gestern schläft sie recht viel. Und übel ist ihr auch fast ständig."
"Du Arme. Schaffst du das alleine?" Mitfühlend strich Aurelia ihrer Tante über den Arm.
"Irgendwie geht es schon. Ich bin eh ständig in Kontakt mit unserem Hausarzt Dr. Schreiber. Jonathan kommt ja auch jeden Tag vorbei und hilft uns, wenn wir was brauchen. Ich hätte nie gedacht, dass der Junge so handzahm wird." Sie lächelte.
"Wieso holst du dir denn keine Hilfe? Hast du nicht dieses Prospekt bekommen? Wie hieß das doch gleich?"
"Du meinst die Hospizbewegung?"
Aurelia nickte.
Stella winkte ab. "Ach, es geht schon. Mein Chef ist zwar alles andere als erfreut, aber er meinte, bis September gibt er mir noch frei. Solange die Ferien sind, sind eh weniger Kinder in der Gruppe. Das schaffen die schon ohne mich."
"Und dann?"
Stella blickte hoch und sah Aurelia mit traurigen Augen an. "Ich weiß es nicht", flüsterte sie. "Soweit habe ich noch nicht gedacht."
Aurelia wechselte das Thema. "Hat sich Papa schon mal gemeldet?"
Stella versteifte sich merklich und ihr Gesichtsausdruck verfinsterte sich. "Nein, warum?"
"Ach, ich dachte nur ..."
"Was?", fauchte Stella.
Aurelia zuckte zurück, gab sich aber einen Ruck. "Ihr sprecht jetzt schon fast eine Woche nicht mehr miteinander, denkst du nicht, dass Papa einmal wissen möchte, wie es Oma geht? Findest du das fair?"
"Fängst du jetzt auch damit an? Mama redet mir ins Gewissen, Jonathan lässt immer wieder spitze Bemerkungen fallen - denkst du, das ist lustig?"
"Ich mein es ja nur gut", rechtfertigte sich Aurelia und hob beschwichtigend die Hände.
"Jeder nimmt Erwin in Schutz und ich bin die Böse. Ich habe das schon so satt!" Wütend schob Stella ihre Tasse von sich. Etwas Kaffee schwappte über auf den Tisch und hinterließ einen dunkelbraunen See.
Aurelia stand auf, um einen Lappen zu holen. "Du bist doch nicht die Böse! Wer sagt denn so etwas?" Sie wischte den Fleck weg.
"Ich bin doch nicht blöd! Ich weiß doch, was ihr denkt! 'Die egoistische Stella'", äffte sie.
"Stopp! Was soll das?", unterbrach Aurelia und hob die Hand. "Du bist doch sonst nicht so. Was ist wirklich los?"
Stella blickte überrascht auf.
"Was ist los?", fragte Aurelia noch einmal sanfter.
Stellas Augen füllten sich mit Tränen.
Aurelia nahm sie in den Arm. "Ist ja schon gut. Komm schon, sag mir, was los ist"
Stella schluchzte. "Es ist einfach alles zu viel für mich." Wie ein kleines Kind klammerte sie sich an Aurelia fest. "Ich ... ich kann nicht mehr. Ich schaffe das nicht alleine."
Aurelia streichelte Stellas Rücken. "Du musst es ja nicht alleine schaffen. Wieso nimmst du denn keine Hilfe an?"
"Ich
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