Lavendel und Blütenstaub
Enkeltochter ernst an. "Ist das eine höfliche Frage oder willst du es wirklich wissen?"
"Ich will es wirklich wissen", antwortete Aurelia. Sie klang aufrichtig. "Stella sagt nicht recht viel, und Papa verzweifelt fast, weil er nichts erfährt."
Anna seufzte und blickte auf ihre Hände, die die Tasse umklammert hielten. "Es wird immer schlimmer", sagte sie schließlich. Sie deutete auf ihren Bauch. "Hier wird es immer fester. Manchmal bekomme ich nur schwer Luft, mit jedem Tag mehr engt es meinen Brustkorb ein, als ob jemand sich mit voller Kraft drauf abstützt." Sie schwieg. "Und dann lässt plötzlich wieder alles nach. Ich fühle mich gut und denke: Alles halb so schlimm. Und dann kommt es wenig später mit voller Wucht zurück." Tränen blitzten in ihren Augen.
Aurelia saß stumm gegenüber und blickte sie hilflos an.
"Keiner kann sich vorstellen, wie das ist, wenn einem der eigene Körper auffrisst. Und Stella?" Sie blickte durch das Fenster in den Garten. "Stella vergeht fast mit mir!" Schluchzend schlug Anna eine Hand vor den Mund. Ihr Blick war traurig und verzweifelt. "Aurelia, du musst etwas tun!" Flehentlich sah sie ihre Enkeltochter an.
"Was soll ich denn tun?", fragte Aurelia leise und fühlte sich dabei so unglaublich hilflos. Auch sie hatte Tränen in den Augen.
Anna nahm Aurelias Hände in die ihren und sah sie eindringlich an. "Stella braucht Hilfe. Ich brauche Hilfe. Tu was! Bitte!" Es fiel ihr schwer, das zu sagen, doch sie wusste, so konnte es nicht weitergehen. Die Übelkeit, die Schmerzen - all das belasteten sie und auch Stella.
Jonathan
Bemüht elegant lenkte er sein Fahrzeug in die Auffahrt seiner Oma. Er versuchte möglichst cool auszusehen - das Fenster war geöffnet und lässig hing ein Arm bei der Tür raus. Das tat er nun schon seit einigen Tagen, denn er hoffte auf eine ganz besondere Begegnung.
Seit er Sybille im Haus von Frau Huber gesehen hatte, ging sie ihm nicht mehr aus dem Kopf. Vorbei die Zeiten, wo er von Sybille-Brille genervt war. Vorbei die Zeiten, wo er sich vor ihr versteckt hatte. Angebrochen die Zeit, in der er täglich betont cool vor das Haus fährt, in der Hoffnung, Sybille würde ihn durch das Fenster von Frau Huber beobachten. Vielleicht würde sie dann so beeindruckt von ihm sein, dass sie sogar herauskommt!
Vorsichtig lugte er über die Schulter, während er das Auto abstellte. Regte sich dort drüben was? Fehlanzeige. Das Nachbarhaus war ruhig und schien verlassen.
Jonathan nahm die Sonnenbrille - die zwar überaus stylisch aussah, jedoch so dunkel war, dass er fast nichts sah - ab und holte die Einkaufstasche aus dem Auto.
Im Haus war es dunkel und kühl. Die Tür zur Küche war geschlossen, weshalb kaum Licht in den Flur fiel.
In der Küche saßen Stella und Anna am Tisch. Sie unterhielten sich leise und lachten. Jonathan war froh, seine Oma hier sitzen zu sehen. Es war für ihn immer sehr beklemmend, wenn er da war und Oma gerade Schmerzen hatte und bettlägerig war. Er wusste dann nie, was er tun sollte, um Stella möglichst wenig im Weg zu stehen, während sie alles tat, um den Schmerzanfall in den Griff zu bekommen.
"Hy Mum, hy Oma!", rief Jonathan fröhlich.
Er stellte den Einkauf auf die Küchenzeile. Stella erhob sich und begann, die Lebensmittel wegzuräumen.
"Alles klar?", fragte Jonathan cool.
Anna nickte lächelnd.
Sie sah gut aus, bemerkte Jonathan erleichtert. Die rote Bluse, die sie trug, verlieh ihr Farbe und machte sie gleich weniger zerbrechlich. Wie lange die gute Phase wohl wieder andauern würde?
Seit er fast täglich hierher kam, hatte er das Auf und Ab um Annas Krankheit mitbekommen. Einmal ging es ihr besser, im nächsten Moment hatte sie Schmerzen und dann wieder schlief sie stundenlang, um wieder fröhlich und erholt zu erwachen. Wenn Jonathan zur Tür hereinkam, war es für ihn immer wie beim russischen Roulette. Hatte er wieder einen guten Zeitpunkt erwischt, oder kam er genau zu so einer schlechten Phase? Heute hatte er wieder Glück.
"Schaust ja fast wieder normal aus", sagte er trocken und überspielte gekonnt sein inneres Gefühlschaos.
"Jonathan!", fuhr Stella ihn erschrocken an.
"Was?" Er hob entschuldigend die Hände. "Ich sag ja nur."
Anna lachte. "Ach, lass ihn, Stella. Wo er recht hat, hat er recht. Mir geht es heute tatsächlich besser."
"Mum, wie sieht's aus, soll ich mal dein Auto waschen?"
Stella blickte ihren Sohn entgeistert an. "Bist du krank? Fehlt dir etwas?"
"Nein, ich dachte
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