Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lavendel und Blütenstaub

Lavendel und Blütenstaub

Titel: Lavendel und Blütenstaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. Habersatter
Vom Netzwerk:
Hintergrund.
    Erni kam in den letzten Tagen seltener. Seit Stella und Erwin halbwegs miteinander umgehen konnten, hatte sie sich etwas zurückgezogen, um der Familie Zeit und Raum mit Anna zu geben.
    Die Tage wurden langsam kürzer. Der September brach ins Land und mit ihm auch die Phasen, in denen Anna geistig immer weniger anwesend war. Die vielen Morphine beeinflussten ihre Wachzustände zunehmend.
    Nichtsdestotrotz versuchte sie immer noch Zeit in ihrem Garten zu verbringen, auch wenn die Arbeiten von Stella verrichtet werden mussten. Anna saß dann unter der Weinlaube und sah zu, auch wenn es ihr sehr schwer fiel, nicht selbst mit anzupacken.
    Ihr ganzes Leben lang hatte sie gearbeitet. Ihr Hände waren immer von Tätigkeiten im Garten, Haus und Laden gezeichnet gewesen. Die Haut war rau und rissig gewesen, die Nägel immer kurz geschnitten. Jetzt, mit achtundsiebzig Jahren, hatte sie zum ersten Mal längere Fingernägel und eine weiche Haut in den Handflächen. Die Untätigkeit der letzten Wochen hatten ihre Spuren hinterlassen.
    "Endlich ist es nicht mehr so heiß", sagte sie, als sie mit Stella wieder mal im Garten saß. Sie blickte in den wolkenverhangenen Himmel. Der Wind wehte und ließ sie frösteln. "Man kann den Herbst schon riechen."
    Stella drehte den Kopf und schnupperte. "Ach, der ist ja noch lange nicht da", winkte sie ab.
    Anna blickte abwesend in die Ferne. "Er ist näher, als du denkst." Sie klang melancholisch. Traurig. Resigniert.
    "Wie meinst du das?"
    Doch Anna antwortete nicht. Stumm liefen Tränen über ihre Wangen, tropften auf die Hände, die im Schoß lagen.
    "Mama, was ist los?" Stella nahm sie besorgt in den Arm.
    "Ich will nicht sterben", flüsterte Anna. "Ich will nicht sterben. Ich will nicht!", wiederholte sie ein ums andere mal.
    "Ach Mama, ..." Stella rang um Worte.
    "Ich bin noch nicht soweit. Ich will noch ein bisschen leben. Nur ein bisschen." Sie sah Stella an. "Ist das zu viel verlangt?"
    "Ach Mama", wiederholte Stella. Sie drückte Anna fest an sich und wiegte sie sanft hin und her. Sie wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Annas Ausbruch kam plötzlich und unerwartet.
    Sie schluchzte: "Ich wollte alt werden, ich wollte Sebastian und Marina aufwachsen sehen, ich ... Ich will nicht sterben!" Sie weinte haltlos, krallte sich an Stella fest.
    Stella schaffte es kaum sie zu beruhigen. Sie schien selbst gegen ihre Verzweiflung anzukämpfen. Konnte ein Mensch den anderen trösten, wenn er selbst Trost brauchen konnte?
    "Schsch, ist ja schon gut", flüsterte Stella ihr zu und drückte sie fest an sich. Dabei rannen ihr selbst unaufhörlich die Tränen über die Wangen.
     
     
    Erwin
     
    Er stand am Fenster in der Küche. Er war gerade gekommen. Gleich nach der Arbeit war er hergefahren, um bis zum Abend bei Anna zu bleiben. Stella sollte sich ein wenig ausruhen können.
    Erni hatte ihn vorgewarnt und auch Gabriela hatte tags zuvor gemeint, dass Anna noch nicht alle Phasen durch hatte.
    "Welche Phasen?", hatte er gemeint.
    "Die fünf Phasen des Sterbens", hatte Gabriela geantwortet.
    Erni war einige Male bei Anna gewesen, hatte mit ihr geredet und Trost gespendet. Hatte bei ihr gewacht, wenn sie schlief. Beim letzten Mal hatte sie Erwin und Stella beiseite genommen und ihnen über die fünf Sterbephasen erzählt. Nichtwahrhabenwollen, Zorn, Verhandeln, Depression und Akzeptanz. Diese Phasen kamen unweigerlich bei fast jedem Menschen, bei dem einen stärker ausgeprägt, bei dem anderen weniger. Die letzten beiden Phasen kamen jedoch immer.
    Erwin sah auf Anna und Stella. Beide weinten, schluchzten, hielten sich fest. Er konnte Wortfetzen durch die Terrassentür hören und war sich sicher: Phase vier war angebrochen.
    Die Verzweiflung von Anna war durch den Garten bis ins Haus spürbar und Erwin wurde von einer Welle der Trauer erfasst. Am liebsten wäre er hinausgegangen, hätte sich an die andere Seite von Anna gesetzt und mit seinen großen Armen beide Frauen umarmt, doch er konnte es nicht. Stellas Barriere war noch immer nicht durchbrochen und er wusste, dass Anna sich in seiner Nähe nicht so öffnen konnte wie in Stellas. Selbst am Ende ihres Lebens würde er keinen anderen Stellenwert einnehmen, als nur der Sohn zu sein.
    Erwins Handy läutete. Ein denkbar schlechter Zeitpunkt, doch er hob ab.
    Er räusperte sich. "Hallo Jonathan", sagte er mit leiser Stimme.
    "Störe ich?"
    "Nein, nein. Geht schon." Erwin starrte immer noch in den Garten auf die beiden umarmenden,

Weitere Kostenlose Bücher