Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lavinia & Tobais 01 - Liebe wider Willen

Lavinia & Tobais 01 - Liebe wider Willen

Titel: Lavinia & Tobais 01 - Liebe wider Willen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Quick
Vom Netzwerk:
standen in den unterschiedlichsten Posen. Ein Mann mit einer elegant gebundenen Krawatte saß in einem Lehnsessel und las, obwohl keine Kerze neben ihm stand, um ihm Licht zu spenden. Die Beine hatte er an den Knöcheln lässig übereinander gelegt. Eine rundliche Frau in einem langärmeligen Kleid, verziert mit frischen weißen Rüschen, saß auf der Klavierbank. Sie trug eine große weiße Schürze. Ihr dichtes graues Haar war unter einer Spitzenhaube zu einem schweren Knoten zusammengebunden. Ihre Finger waren über die Tasten erhoben, als hätte sie gerade ein Stück zu Ende gespielt und wollte ein neues beginnen. In der Nähe des kalten Kamins saß ein Mann mit einem halb ausgetrunkenen Glas Brandy in der Hand. Neben ihm beschäftigten sich zwei andere Gentlemen mit einer Partie Schach.
    Eine unheimliche Stille lag über dem langen schmalen Raum. Kein Kopf wandte sich, um die Neuankömmlinge zu betrachten. Niemand bewegte sich. Niemand sprach. Das Klavier blieb still. Es war, als wäre jeder in dem Zimmer für immer erstarrt, in einem Augenblick der alltäglichen Verrichtungen.
    »Gütiger Himmel«, hauchte Lavinia.
    Tobias ging an ihr vorüber zu der Stelle, an der die Schachspieler vor einem Spiel saßen, das niemals beendet werden würde.
    »Erstaunlich«, sagte er. »Ich habe schon andere Wachs arbeiten gesehen, aber keine war so lebensecht wie diese hier.«
    Lavinia ging langsam zu der Gestalt, die das dünne Buch las. Der Kopf aus Wachs war in einem sehr natürlichen Winkel gesenkt. Die Glasaugen schienen die Wörter in dem Buch zu verschlingen. Die Stirn war leicht gerunzelt, und auf dem Rücken der Hand, auf der die Adern deutlich zu sehen waren, wuchsen kleine Härchen.
    »Man erwartet, dass sie sich jeden Augenblick bewegen oder sprechen«, flüsterte sie. »Ich schwöre, in den Adern kann man sogar ein wenig Blau erkennen, und ich habe gerade die blassen Wangen dieser Frau betrachtet. Es ist unheimlich, nicht wahr?«
    »Ihre Nichte hat gesagt, dass die meisten Künstler, die mit Wachs arbeiten, Kleidung und Schmuck benutzen und andere Dinge, um ihre Werke lebendig aussehen zu lassen.« Tobias ging zu einer Frau in einem modischen Kleid. Die Finger der Hand dieser Gestalt spielten nachlässig mit einem Fächer. Sie schien schüchtern zu lächeln. »Aber Mrs. Vaughn ist eine Meisterin ihres Faches, eine Künstlerin, die keine Tricks anzuwenden braucht. Diese Statuen sind hervorragend modelliert.«
    Die Gestalt in der Schürze und der Haube am Piano verbeugte sich.
    »Danke, Sir«, sagte sie mit einem fröhlichen Lachen.
    Lavinia hätte beinahe aufgeschrien, schnell machte sie einen Schritt zurück. Dabei stieß sie gegen einen Dandy, der sie mit gerunzelter Stirn durch eine Lupe betrachtete. Sie sprang zur Seite, als hätte die Gestalt die Hand ausgestreckt, um sie zu berühren. Dabei ließ sie beinahe das Paket fallen, das sie mitgebracht hatte.
    Sie fing sich wieder, kam sich sehr dumm vor, glättete dann ihren Mantel und zwang sich zu einem entschlossen höflichen Lächeln.
    » Mrs. Vaughn, nehme ich an«, sagte sie.
    »Ja, in der Tat.«
    »Ich bin Mrs. Lake und dies ist Mr March.«
    Mrs. Vaughn stand von der Klavierbank auf. Wenn sie lächelte, zeigten sich Grübchen in ihren Wangen. »Willkommen in meinem Ausstellungsraum. Sie können die Figuren so lange betrachten, wie Sie möchten.«
    Tobias senkte den Kopf. »Meinen Glückwunsch, Madam. Das ist eine erstaunliche Sammlung.«
    »Ihre Bewunderung freut mich sehr, Sir.« Mrs. Vaughn sah Lavinia an, Belustigung blitzte in ihren leuchtenden Augen auf. »Aber irgendetwas sagt mir, dass Mrs. Lake mit ihrer Meinung ein wenig zurückhaltender ist.«
    »Ganz und gar nicht«, versicherte Lavinia ihr schnell. »Es ist nur so, dass der Eindruck Ihrer Kunst sehr ... unerwartet ist. Überwältigend, sollte ich eigentlich sagen. Ich meine, es ist so, als wäre dieser Raum voller Menschen, die ... nun ja ... äh ...«
    »Menschen, die nicht richtig leben und auch nicht richtig tot sind. Ist es das, was Sie meinen?«
    Lavinia lächelte schwach. »Ihr Geschick ist beeindruckend.«
    »Danke, Mrs. Lake. Aber ich kann sehen, dass Sie einer dieser Menschen sind, die sich mit meiner Kunst nicht so recht anfreunden können.«
    »Oh, nein, wirklich, es ist nur so, dass diese Figuren so lebensecht sind.« Einer Leiche ähnlich wäre wohl die zutreffendere Beschreibung, dachte sie. Aber sie wollte nicht zu kritisch erscheinen. Immerhin war diese Frau eine Künstlerin.

Weitere Kostenlose Bücher