Lavinia & Tobais 01 - Liebe wider Willen
mir klar, dass er nicht die Art von Mann war, der sich zu etwas zwingen lässt, was er nicht tun will. Doch zu meiner Überraschung hat er Anne gesagt, sie solle ihre Koffer packen.«
»Sie haben Recht, Mr Sinclair«, stimmte Lavinia ihm sanft zu. »Tobias wäre nicht auf die Forderung Ihrer Tante eingegangen, wenn er nicht dazu bereit gewesen wäre.«
»Die Tatsache, dass er Anne mitgenommen hat, war nicht einmal das Erstaunlichste daran. Das wirklich Erstaunliche war, dass Tobias mir gesagt hat, ich solle auch meine Sachen packen. An diesem Tag hat er uns beide gerettet, auch wenn ich das erst viel später begriffen habe.«
»Ich verstehe.« Lavinia dachte darüber nach, wie es wohl für einen kleinen Jungen gewesen sein musste, von einem Fremden mitgenommen zu werden. »Sie waren sicher sehr verängstigt.«
Anthony verzog das Gesicht. »Nicht um meinetwillen. Soweit es mich betraf, war alles besser, als mit unseren Verwandten zu leben. Aber ich hatte fürchterliche Angst, was Tobias wohl mit Anne machen würde, wenn er sie erst einmal in seiner Macht hatte.«
»Hat Anne sich vor Tobias gefürchtet?«
»Nein. Niemals.« Anthony lächelte in Erinnerung an diese Zeiten. »Für sie war er ihr Ritter in der glänzenden Rüstung, von Anfang an. Ich glaube, sie hatte sich schon in ihn verliebt, als wir noch nicht einmal die Einfahrt des Hauses hinuntergefahren waren, aber ganz sicher, ehe wir auf die Hauptstraße nach London eingebogen waren.«
Lavinia stützte das Kinn in die Hand. »Vielleicht war das einer der Gründe, warum Sie Tobias nicht von Anfang an gemocht haben. Bis zu diesem Tag waren Sie derjenige, dem die Zuneigung Ihrer Schwester gehörte.«
Anthony blickte einen Augenblick nachdenklich vor sich hin, dann runzelte er die Stirn. »Sie könnten Recht haben. Von diesem Standpunkt aus habe ich die Sache noch gar nicht betrachtet.«
»Hat Mr March Ihre Schwester gleich geheiratet?«
»Innerhalb eines Monats. Er muss sich auf den ersten Blick in sie verliebt haben. Wie hätte es auch anders sein können? Sie war sehr schön, innerlich und äußerlich. Sie war die sanfteste Kreatur. Freundlich, anmutig, liebevoll mit einem ausgeglichenen Temperament. Sie war mehr ein Engel als eine Frau aus Fleisch und Blut, denke ich. Sicher zu gut für diese Welt.«
Kurz gesagt, diese Frau war das genaue Gegenteil von mir, dachte Lavinia.
»Aber Tobias fürchtete, dass ihre Gefühle für ihn nur auf Dankbarkeit beruhten und bald wieder verschwinden würden«, sprach Anthony weiter.
»Ich verstehe.«
»Er hat Anne gesagt, dass sie nicht verpflichtet wäre, seine Frau zu werden, und dass er auch nicht von ihr erwartete, die Rolle seiner Geliebten zu spielen. Doch ganz unabhängig von ihrer Entscheidung hat er deutlich gemacht, dass er schon einen Weg finden würde, für uns zu sorgen.«
»Aber sie hat ihn geliebt.«
»Ja.« Anthony betrachtete einen Augenblick lang das Muster des Teppichs, dann sah er mit einem kleinen, traurigen Lächeln zu ihr auf. »Sie hatten noch nicht einmal fünf gemeinsame Jahre, ehe sie und das Baby an einem Fieber im Kindbett starben. Tobias blieb mit einem dreizehnjährigen Schwager zurück.«
»Ihre Schwester zu verlieren war sicher außerordentlich schwierig für Sie.«
»Tobias war sehr geduldig mit mir. Am Ende des ersten Jahres seiner Ehe habe ich ihn verehrt.« Anthony umklammerte die Stuhllehne. »Aber nachdem Anne gestorben war, bin ich ein wenig durchgedreht. Ich habe ihn für ihren Tod verantwortlich gemacht, müssen Sie wissen.«
»Das verstehe ich.«
»Bis zum heutigen Tag ist es ein Wunder für mich, dass er mich nicht wieder zu meiner Tante und meinem Onkel zurückgeschickt hat in den Monaten nach der Beerdigung oder dass er mich nicht wenigstens nach auswärts in die Schule geschickt hat. Aber Tobias hat behauptet, es sei ihm nie in den Sinn gekommen, mich loszuwerden. Er behauptet, dass er sich daran gewöhnt hatte, mich um sich zu haben.«
Anthony wandte den Rücken zum Fenster und schwieg, offensichtlich war er gefangen in seinen Erinnerungen.
Lavinia blinzelte ein paar Mal, um die Feuchtigkeit zu vertreiben, die ihr in die Augen getreten war und die ihre Sicht behinderte. Schließlich gab sie ihre Bemühungen auf und holte ein Taschentuch aus der obersten Schublade. Sie tupfte sich schnell über die Augen und schnüffelte ein wenig.
Als sie sich wieder gefangen hatte, faltete sie die Hände auf dem Schreibtisch und wartete. Anthony machte keine Anstalten, seine
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