Lavinia & Tobais 01 - Liebe wider Willen
relative Sicherheit eines Bordells hochgearbeitet, und jetzt war sie in die unteren Ränge der Kurtisanen aufgestiegen. Die Zukunft sah vielversprechend aus. Vielleicht würde sie eines Tages ihre eigene Loge in der Oper besitzen, so wie einige der privilegierten Mitglieder ihres Berufes es taten.
Sie hatte sich in den letzten Tagen diskret nach einem neuen Beschützer umgesehen und hoffte, einen zu finden, ehe ihre Miete am Ende des Monats fällig wurde. Doch sie hatte sich geschworen, dass sie nicht übereilt in eine neue Verbindung flüchten würde, selbst wenn es bedeutete, dass sie aus dem kleinen Haus würde ausziehen müssen. Sie kannte andere Frauen, die den Fehler gemacht hatten, das erstbeste Angebot anzunehmen, um sich finanziell über Wasser zu halten. In ihrer Verzweiflung stimmten sie manchmal Verbindungen mit Männern zu, die sich als gewalttätig herausstellten oder die sie auf eine Art benutzten, von der jeder wusste, dass sie unnatürlich war. Sie erschauerte, als sie an eine Bekannte dachte, die sich mit einem Grafen zusammengetan hatte, der sie zwang, seine Freunde mit sexuellen Gefälligkeiten zu unterhalten.
Sie eilte durch den schattigen Gang und schenkte den unheimlich beleuchteten Ausstellungsstücken zu beiden Seiten nur wenig Aufmerksamkeit. Sie war geschäftlich hier. Sie blickte auf die Szene mit dem Galgen und verzog das Gesicht. Selbst wenn sie in der Stimmung gewesen wäre, sich das Wachsfiguren-Museum anzusehen, war das doch keine Szene, die sie ausgewählt hätte. Ihrer Meinung nach waren diese Ausstellungsstücke alle äußerst bedrückend.
Am Ende des schwach erhellten Raumes fand sie die enge Wendeltreppe. Sie hob ihre Röcke und die langen Falten ihres Umhanges und ging schnell die Treppe hinauf. Die Anweisungen, die sie bekommen hatte, waren sehr genau gewesen.
Die schwere Tür am Ende der Treppe war nicht abgeschlossen. Die Scharniere knarrten, als sie sie aufstieß. Sie trat in den nur schwach erhellten Raum und sah sich um. Obwohl die Ausstellungsstücke hier oben nicht nach ihrem Geschmack waren, war sie doch neugierig. Sie hatte gehört, dass Huggett damit prahlte, eine sehr einzigartige Ausstellung zu besitzen, eine, die nur für Herren zu besichtigen war.
Das Schild in der Nähe des Eingangs war in elegantem Blau und Gold gemalt. Sie trat einen Schritt näher und bückte sich ein wenig, um es in dem schwachen Licht lesen zu können.
SZENEN AUS EINEM BORDELL
»Nun, wenn das kein langweiliges Thema ist«, murmelte sie leise vor sich hin. Aber vielleicht war sie ja auch voreingenommen, weil sie dieses Geschäft kannte.
Sie ging zu dem nächsten erleuchteten Ausstellungsstück und betrachtete die Gestalten eines Mannes und einer Frau, die sich auf einem Bett wanden, gefangen in einer lustvollen Umarmung. Das Gesicht des Mannes war wild und eindringlich, beinahe brutal, während er sich seinem Höhepunkt näherte. Er drängte sich gegen seine Partnerin, die Muskeln in seinem Po und seinem Rücken traten auf sehr realistische Weise vor.
Der Körper der Frau war mit einer üppigen Hingabe modelliert, die zweifellos das Interesse des durchschnittlichen männlichen Betrachters wecken sollte. Große Brüste und wohl gerundete Hüften, die zu einer alten griechischen Statue gepasst hätten, wurden von kleinen, eleganten Füßen vervollständigt. Doch es war das Gesicht der Frau, das Sallys Aufmerksamkeit weckte. Es lag etwas in diesem Gesicht, das ihr bekannt vorkam.
Sie wollte gerade näher treten, um sich das Gesicht genauer anzuschauen, als sie ein leises Kratzen in der Dunkelheit hinter sich hörte. Sie riss ihre Aufmerksamkeit von der Wachsfigur los. »Wer ist da?«
Niemand sprach oder bewegte sich in den dunklen Schatten. Aus einem unerfindlichen Grund begann ihr Herz schneller zu schlagen. Ihre Handflächen wurden kalt und feucht. Sie kannte diese Anzeichen. Von Zeit zu Zeit hatte sie sie in den alten Tagen auf der Straße gefühlt. Einige der Männer, die sich ihr genähert hatten, hatten diese Reaktion in ihr ausgelöst. Sie hatte sich immer auf ihre Intuition verlassen und hatte sich den Männern verweigert, die ihr dieses Gefühl gaben, selbst wenn das bedeutet hatte, einen oder zwei Tage zu hungern.
Doch dies war kein Fremder, der sie in eine dunkle Kutsche locken wollte. Sicher war dies ihr Beschützer, der Mann, der in den letzten Monaten ihre Miete bezahlt hatte. Er hatte nach ihr geschickt und sie gebeten, ihn hier zu treffen. Es bestand kein
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