Lavinia & Tobais 01 - Liebe wider Willen
Grund, Angst zu haben.
Ein leiser Schauer rann durch ihren Körper. Aus irgendeinem Grund erinnerte sie sich plötzlich wieder an den Klatsch, der in dem Bordell erzählt wurde, dass seine vorherige Geliebte Selbstmord begangen hatte. Einige der etwas romantischeren Gefährtinnen hatten behauptet, dass das Herz der Frau gebrochen war, und hatten das alles als eine große Tragödie angesehen. Doch die meisten hatten den Kopf geschüttelt über so viel Dummheit, den gesunden Menschenverstand von den Gefühlen überwältigen zu lassen.
Sie selbst hatte sich die ganze Zeit über darüber den Kopf zerbrochen. Sie hatte seine frühere Geliebte flüchtig gekannt. Alice war ihr nicht vorgekommen wie eine Frau, die den Fehler begeht, sich in ihren Beschützer zu verlieben.
Sie schüttelte die Erinnerung an die arme, dumme Alice ab. Doch wieder erfasste sie ein Hauch der Angst. Es war die Art der Ausstellungsstücke, dachte sie. Sie hatten ihre Nerven angespannt.
Sie hatte gar keinen Grund, alarmiert zu sein. Er spielte nur eines seiner Spielchen mit ihr.
»Ich weiß, dass du hier bist, mein gut aussehender Hengst.« Sie zwang sich zu einem schüchternen Lächeln. »Wie du siehst, habe ich deine Nachricht erhalten. Ich habe dich vermisst.«
Niemand trat aus dem Schatten.
»Hast du mir die Botschaft geschickt, mich hier mit dir zu treffen, damit wir einige dieser Szenen hier nachspielen können?« Sie kicherte ein wenig, so, wie er es mochte. Dann verschränkte sie die Hände hinter dem Rücken und ging den Gang zwischen den Ausstellungsstücken entlang. »Wie böse von dir, mein Hengst. Aber du weißt, dass ich dir immer gehorche.«
Es kam keine Antwort.
Sie blieb vor dem schwach beleuchteten Ausstellungsstück einer Frau stehen, die auf ihren Knien vor einem Mann hockte, dessen Geschlechtsteil der Fantasie des Künstlers zur Ehre gereichte. Sie tat so, als würde sie die hart aufgerichtete Rute voll ernsthafter Nachdenklichkeit betrachten.
»Also, meiner Meinung nach«, erklärte sie, »ist dein Schwanz noch größer als dieser hier.« Natürlich war das eine Lüge, aber einen Kunden anzulügen, war in ihrem Beruf wichtig. »Natürlich kann es sein, dass ich die genauen Maße vergessen habe, aber ich würde mich freuen, ihn noch einmal messen zu können. In der Tat kann ich mir keine faszinierendere Art vorstellen, diesen Abend zu verbringen. Was sagst du dazu, mein herrlicher Hengst?«
Niemand sagte etwas.
Ihr Puls schlug noch immer heftig. Wahrscheinlich sogar noch schneller als zuvor. Ihre Hände waren feucht. Es war unmöglich, genügend Luft in ihre Lungen zu saugen.
Genug. Sie konnte nicht länger gegen die alte Angst der Straße ankämpfen. Etwas stimmte hier nicht.
Jetzt meldete sich ihr Instinkt. Sie hörte auf, sich gegen den Wunsch zu wehren, zu fliehen. Ihr war es gleichgültig, ob ihr früherer Beschützer die Verbindung wieder aufnehmen wollte oder nicht. Sie wollte nur noch weg aus diesem Raum.
Sie wirbelte herum und lief den Gang entlang. In der Dunkelheit war die Tür am anderen Ende der Galerie nicht zu sehen, doch sie wusste, dass sie dort war.
Ganz plötzlich regte sich etwas in dem tiefen Schatten zu ihrer Rechten. Ihr erster, verrückter Gedanke war, dass eine der Wachsfiguren zum Leben erwacht war. Dann erkannte sie den schwachen Schein auf einem Stück schweren Eisens. Der Schrei blieb ihr in der Kehle stecken. Sie wusste, dass sie es nicht bis zur Tür schaffen würde. Sie wandte sich um und hob beide Hände in dem vergeblichen Versuch, den Schlag abzuwehren. Sie stolperte rückwärts. Ihr Fuß traf gegen einen hölzernen Eimer, der auf dem Boden stand. Sie verlor die Balance und fiel. Der Eimer fiel um und schmutziges Wasser lief über den Boden.
Der Mörder kam näher, das schwere Eisen hatte er für seinen mörderischen Schlag erhoben.
In diesem Augenblick begriff Sally, warum die Prostituierte aus Wachs in dem ersten Ausstellungsstück ihr bekannt vorgekommen war. Die Gestalt besaß das Gesicht von Alice.
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17. Kapitel
Das Gryphon war warm und trocken, aber das war auch schon alles, was man zu den Vorzügen der verrauchten Taverne rechnen konnte. Dennoch fand Tobias, dass das in einer feuchten, nebligen Nacht nicht zu verachten war.
Das Feuer in dem riesigen Kamin brannte fröhlich und erhellte das Lokal mit seinem böse flackernden Licht. Die Dienstmägde waren alle große, dralle, gut gebaute Frauenzimmer. Die Ähnlichkeiten in ihrer Gestalt waren kein Zufall.
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