Lavinia & Tobais 03 - Skandal um Mitternacht
verändert hatte. Sie war nicht mehr dieselbe wie damals.
Sie war jetzt nicht nur älter und erfahrener, sie hatte auch Freiheit und Unabhängigkeit des Witwendaseins zu schätzen gelernt. Anders als Emeline, war sie den strengen Anstandsregeln, die jüngere, ledige Damen zu beachten hatten, nicht mehr unterworfen. Es stand ihr frei, sich nach Belieben gelegentlich eine leidenschaftliche Affäre zu leisten, wobei man von ihr lediglich erwartete, Diskretion zu wahren. Witwen durften sich das Beste zweier Welten herauspicken, sagte sie sich. Sie konnten den
Freuden der Leidenschaft frönen und dennoch Unabhängigkeit und Selbstbestimmung genießen, die ihnen ihr Status erlaubte.
Irgendwann im Laufe der Zeit war sie zu dem Schluss gelangt, dass sie den Rest ihres Lebens ledig bleiben würde. Es war eine Aussicht, mit der sie sich völlig zufrieden gab.
Bis vor kurzem.
Tatsächlich waren die Dinge nun für sie nicht mehr ganz so eindeutig. Zurzeit erschien ihr die Zukunft sogar reichlich ne-bulös.
Dass sie sich in Tobias verliebt hatte, war für sie völlig überraschend gekommen und hatte sich als beunruhigende Erfahrung erwiesen. Sie hatte einige Zeit benötigt, um zu erfassen, was geschehen war. Sie hatte ihre Gefühle für Tobias nicht sofort als Liebe erkannt, da diese sich deutlich von den zarten, unschuldigen Empfindungen unterschied, die sie in ihrer Ehe kennen gelernt hatte.
Gewiss, seit Johns Tod waren zehn Jahre vergangen, doch wenn ihre Erinnerung sie nicht trog, hatten sie nie eine Meinungsverschiedenheit gehabt, ganz zu schweigen davon, dass sie im Verlauf ihrer Ehe je einmal gestritten hätten. Natürlich hatte es auch kaum Konfliktstoff gegeben, erkannte sie plötzlich scharfsinnig, da John nichts lieber gewesen war, als ihr sämtliche Entscheidungen zu überlassen.
John hatte nur für seine Dichtung gelebt. Nichts war für ihn erstrebenswerter, als vom lästigen Kleinkram des Alltags befreit zu sein, so auch von der Notwendigkeit, Geld zu verdienen.
Von Anbeginn an hatte sie sich um alles gekümmert. Nicht nur, dass sie den Haushalt geführt hatte, sie hatte das Leben für beide mit ihren hypnotischen Fähigkeiten bestritten, da Johns Dichtkunst keine Anerkennung fand und er keinerlei Einkünfte aus seiner Arbeit bezog.
Es war eine Lösung, die sich während der kurzen Zeit ihrer Ehe bewährt hatte. Sie war zufrieden gewesen. Sie sagte sich, dass John sie geliebt hatte, und war sicher, dass dies stimmte. Aber rückblickend wusste sie nun, dass seine tiefste Leidenschaft seiner Dichtung gegolten hatte.
Vielleicht war dies der eigentliche Grund, weshalb wir nie Auseinandersetzungen hatten, überlegte sie. John hatte sich nur um seine Arbeit gekümmert, so dass ihm etwas anderes keinen Streit wert war.
Ihre Beziehung zu Tobias war völlig anders. Die Gefühle, die zwischen ihnen so leicht aufflammten, waren viel intensiver als jene, die sie mit John erlebt hatte. Und hitzige Diskussionen endeten meistens mit hemmungsloser Liebe.
Sie musste sich eingestehen, dass sie Tobias nicht so leicht lenken konnte wie John, und sie war nicht sicher, wie sie das einordnen sollte.
Eine Affäre war die ideale Lösung, sagte sie sich. Es war eine bekannte Litanei, eine, die sie oft spätnachts wiederholte, wenn sie wach dalag und allein war.
Sie verscheuchte die beunruhigenden Gedanken und schenkte Sherry ein. Als sie sich umdrehte, um eines der Gläser Tobias zu reichen, sah sie, dass er in Gedanken versunken sein Bein massierte. Sie runzelte die Stirn.
»Macht deine Wunde dir zu schaffen?«, fragte sie.
»Mach dir keine Sorgen.« Er nahm das Glas in Empfang. »Die lange Fahrt hat mein Bein ein wenig steif werden lassen. Ein Glas Sherry wird das Problem lösen.« Er leerte das Glas zur Hälfte und beäugte den verbliebenen Rest. »Bei angestrengterer Überlegung könnten es auch zwei oder drei Glas sein.«
Sie schenkte ihm nach, setzte sich und stützte die Fersen auf ein Kissen.
»Ich kann gar nicht sagen, wie gut es tut, wieder zu Hause zu sein«, sagte sie zu Emeline und Anthony.
Emeline setzte sich in einen Sessel neben dem Globus. Aus ihrem hübschen Gesicht sprach Besorgnis. »Was geschah auf Beaumont Castle?«
»Ach, es war insgesamt eine einzige Katastrophe«, eröffnete Lavinia ihr.
Tobias nahm erneut einen Schluck und seufzte behaglich. »Das würde ich so nicht sagen. Die Hausparty hatte auch ihre angenehmen Aspekte.«
Als sie das Blitzen in seinen Augen sah, wusste sie, dass er an das
Weitere Kostenlose Bücher