Lavinia & Tobais 03 - Skandal um Mitternacht
konnte sie die Kerze halten, während sie mit der anderen seinen Ellbogen unterfasste. Tüchtige Hausmädchen mussten bei Kräften sein. Sie hatten nicht nur den ganzen Tag schwer beladene Tabletts, volle Nachtgeschirre und große Wäschestapel zu schleppen, sie mussten ihre Lasten zusätzlich über lange Treppenfluchten wie diese hier befördern. Außerdem mussten sie fegen, schrubben und waschen. Das alles trainierte ein Mädchen, was er gerne mochte. Das war der tiefere Grund, weshalb er seinen Abendsport lieber mit einem der im Haushalt schwer eingespannten Mädchen betrieb als mit professionellen Huren im Bordell, die durch übermäßigen Genuss von Gin und Mohnmilch zu Schwäche und Mattigkeit neigten. Er tröstete sich damit, dass die lange Kletterpartie sich am Ziel bezahlt machen würde. Gehorsam stapfte er noch ein paar Stufen hinauf.
»Noch weiter?«, hechelte er. Sein Herz schlug so heftig, dass er befürchtete, man könnte es hören.
»Wir sind fast da.«
Die Stufe vor ihm schien im flackernden Kerzenschein zu schwanken. Er musste sich Mühe geben, den Fuß darauf zu setzen, und verfehlte sie dennoch beinahe.
Das Mädchen umfasste seinen Arm fester und drängte ihn weiter. »Kommen Sie.«
Am Ende der schmalen Treppe angelangt, kam sein Atem in keuchenden Stößen. Als das Mädchen vor einer Tür stehen blieb, war er dankbar für die Pause, da er seiner Atemnot nicht mehr Herr wurde. Außerdem war er total verschwitzt. Ich hätte Jackett und Halstuch im Zimmer lassen sollen. Gottlob werde ich beides bald los sein.
»Fühlen Sie sich auch wohl, Sir? Sie sehen fiebrig aus. Vielleicht ein wenig zu tief ins Glas geschaut heute? Aber sicher schaffen Sie es noch, es mir ordentlich zu besorgen, ehe Sie einschlafen. Es-wäre schade, wenn wir die ganze Treppe umsonst emporgeklettert wären.«
Irgendwie ist sie verändert, dachte er. Ihre Redeweise entsprach nicht mehr ihrem Stand. Ihr Ton war nun kultivierter, gebildeter. Sie hörte sich nicht an wie ein Dienstmädchen.
Er wollte sie etwas fragen, doch lag seine Zunge träge im Mund und gehorchte nicht mehr. Die Benommenheit wurde stärker.
Aus irgendeinem Grund durchfuhr ihn beim Anblick des Nachthimmels ein gewaltiger Schrecken.
»Keine Angst, Mylord. Brandy hat diese Wirkung, wenn man ein oder zwei Tropfen Laudanum beimengt.«
»Wie ... Laudanum?«
»Egal, ich weiß, was Sie zur Nervenberuhigung brauchen.« Das Mädchen öffnete die Tür. »Frische Nachtluft.«
»N-nein.« Er schüttelte den Kopf, als sie ihn durch die Türöffnung zerrte. »Ich fühle mich nicht gut. Ich glaube, ich gehe lieber wieder hinunter.«
»Unsinn, Mylord. Sie brauchen Bewegung. Wie man hört, wollen Sie in ein paar Monaten heiraten. Ihre Frau ist jung und gesund und erwartet in ihrer Hochzeitsnacht einen Ehemann, der bei Kräften ist.«
Er starrte sie triefäugig an. »Wieso ... wieso weißt du von meiner Verlobung?«
»Das spricht sich herum, Mylord.«
Die balsamische Nachtluft tat nichts, um seinen Kopf zu klären. Der Vollmond begann seine Wanderung am Firmament. Er schloss die Augen, verstärkte damit aber nur das Schwindelgefühl .
»Es wird Zeit für Ihren kleinen Unfall, Mylord«, sagte das Mädchen munter.
Panik erfasste ihn jäh. Er schaffte es, die Augen ein wenig zu öffnen. »Meinen w... was?«
»Sie können sicher sein, dass es nicht persönlich gemeint ist. Es handelt sich um eine geschäftliche Angelegenheit.«
Hewlett-Packard
Kapitel 4
D ie die meisten Schlusssätze war auch jener, den sie benutzt hatte, um Tobias gute Nacht zu wünschen, weder besonders klug noch originell, wie Lavinia sich im Nachhinein eingestand. Sie hatte ihm damit zwar ihren Standpunkt klar gemacht, bedauerte dies aber bereits, als sie kurz darauf ihr Zimmer erreichte.
Diese Etage von Beaumont Castle war eindeutig weniger bedeutenden Gästen, wie sie selbst es war, sowie Gesellschafterinnen, Kammerdienern und Zofen vorbehalten. Lady Oakes, ein besonders eleganter Gast, hatte ihren eigenen Friseur mitgebracht, dessen Zimmer auf halber Höhe des Korridors lag.
Lavinia betrat das enge Kämmerchen und zündete die Kerze auf dem Frisiertisch an. Das Licht flackerte im gesprungenen Spiegel und tauchte die spartanische Ei nrichtung in ein trübes Licht.
Es stand zu vermuten, dass dieses Zimmer eigentlich von einem Hausmädchen oder einer armen Verwandten bewohnt wurde. Das schmale Bett nahm fast den gesamten verfügbaren Raum ein. An einer Wand stand ein kleiner Schrank.
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