LaVyrle Spencer
und ich haben geahnt, daß
zwischen euch nicht alles so ist, wie es den Anschein hatte.« Er stand auf,
ging zur Schiebetür und schaute hinaus, wie Clay es oft getan hatte. »Weißt du,
ich habe dieses Haus nur einmal betreten, seit Clay und du eingezogen seid.« Er
warf ihr einen Blick über die Schulter zu. »Das war einer der Punkte, worüber
Angela und ich uns den Kopf zerbrochen haben. Wir haben es als sehr schmerzlich
empfunden, daß du uns nie eingeladen hast.«
»Nein ... o nein.« Catherine trat
neben ihn und berührte leicht seinen Arm. »Ich hielt es nur für das Beste .. .
wenn ich auch noch angefangen hätte, Sie und Ihre Frau zu lieben .. nun, Clay
und ich hatten doch vereinbart, uns nach der Geburt des Kindes zu trennen.«
»Auch?« wiederholte er
hoffnungsvoll. Seinem Scharfsinn war ihr Versprecher nicht entgangen.
»Sie und Angela waren so gut zu uns.
Wir wollten Sie nicht verletzen.«
Er seufzte und blickte wieder in den
sommerlichen Garten hinaus.
»Ich bin ein reicher Mann«, sagte er
nachdenklich. »Das alles gehört mir. Aber der Gedanke erfreut mich im
Augenblick kein bißchen.«
»Bitte«, flehte Catherine, »machen
Sie sich keine Vorwürfe.«
»Ich glaubte, ich könnte Clay und dich und mein
Enkelkind kaufen, aber ich habe mich geirrt.«
»Ich werde Ihnen nie das Recht
verwehren, Melissa zu sehen.«
»Wie geht
es ihr?«
»Sie kriegt ein Doppelkinn, ist aber
sehr gesund und glücklich. Sie schläft im Moment, sollte aber bald aufwachen.
Wenn Sie wollen, wecke ich sie.«
Claibornes freudiges Lächeln war
Antwort genug. Sie holte Melissa und brachte sie zu ihrem Großvater.
»Catherine, versprich mir, daß du zu
uns kommst, wenn ihr je etwas braucht. Hast du mich verstanden?«
»Sie haben schon mehr als nötig
getan. Außerdem schickt uns Clay regelmäßig Geld.« Dann zerzauste sie Melissas
flaumiges Haar und fragte beiläufig: »Wie geht es ihm?« Claiborne sah sie an
und antwortete: »Ich weiß es nicht. Wir sehen ihn kaum.« Ihre Blicke begegneten
sich über Melissas Köpfchen hinweg. In Claibornes Augen lag ein qualvoller
Ausdruck.
»Ach«,
brachte Catherine nur hervor.
»Er arbeitet in der juristischen
Abteilung von General Mills.«
»Wohnt er denn nicht bei Ihnen?«
Claiborne
spielte mit Melissas winzigen Fingern.
»Nein. Er
ist ...«
»Sprechen Sie es ruhig aus. Er lebt
mit Jill, nicht wahr? Dorthin hat er doch eigentlich immer gehört.«
»Ich dachte, du wüßtest es,
Catherine. Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen.«
Lachend stand sie auf, ging in die
Küche und sagte über die Schulter: »Ach, um Himmels willen, das ist doch
töricht. Clay kann jetzt tun und lassen, was er will.«
Aber als Claiborne gegangen war,
blickte Catherine starr in den Garten hinaus. Clay und Jill, dachte sie
verzweifelt und drückte Melissa ein bißchen zu fest an sich. Das Baby begann zu
weinen.
28
In diesem Sommer war Melissa Catherines größte
Freude. Die Liebe, die sie anderen Menschen nicht zeigen konnte, verströmte sie
überschwenglich an ihr Kind. Nur Melissa zu berühren schien ihre Wunden zu
heilen und ihre Lebensgeister zu wecken. Manchmal lag sie mit Melissa im Bett,
preßte ihre winzigen Zehen gegen ihre Lippen und vertraute dem Kind alle ihre
verborgenen Gefühle an. Mit samtweicher Stimme erzählte sie Melissa alle ihre
Gedanken.
»Weißt du, wie sehr ich deinen Daddy
geliebt habe? Ich habe ihn so geliebt, daß ich glaubte sterben zu müssen, als
er uns verließ. Aber ich hatte dich, und meine Liebe zu dir hat mir darüber
hinweggeholfen. Dein Daddy sieht sehr gut aus, weißt du? Du hast seine Nase und
sein lockiges Haar geerbt. Oh, Melissa, hast du mich gerade angelächelt? Tu's
noch mal, bitte. Wenn du lächelst, siehst du aus wie Großmutter Angela. Sie
ist eine wundervolle Frau, und dein Großvater ist ein wundervoller Mann. Du
bist ein sehr glückliches Mädchen, aus dieser Familie zu stammen. Alle lieben
dich, auch Großmutter Ada. Ich bin so glücklich, dich zu haben. Dich liebe ich
am meisten. Vergiß das nie, und vergiß auch nie, daß ich dich unbedingt haben
wollte.«
Ihre Monologe mit Melissa wurden von
unzähligen Küssen begleitet, während das Baby sie mit großen, vertrauensvollen
Augen ansah.
Als Melissa zum ersten Mal ihre
Hände nach Catherine ausstreckte, wurde sie von einem Gefühl unsäglicher Freude
und Liebe überwältigt. Im Umgang mit ihrer Tochter wurde Catherine auch bewußt,
daß sie Eigenschaften besaß, die ihr bisher fremd
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