LaVyrle Spencer
»morgens bin
ich nicht in bester Form.«
»Wer ist das schon?« entgegnete er und rieb sich das
Kinn. Dann ging er zu seinem Koffer, kramte darin herum und pfiff dabei leise
durch die Zähne. Sie war daran gewöhnt, morgens ihre Mutter mit leidvollem
Gesicht durchs Haus gehen zu sehen, als würde der Tag enden und nicht beginnen.
Ihr Alter schlurfte rülpsend und fluchend umher.
Das war etwas Neues: Ein Mann, der
vor dem Frühstück fröhlich vor sich hinpfiff.
Vor der Badezimmertür blieb er
stehen. In einer Hand hielt er einen Kulturbeutel aus Leder.
»Wollen wir uns anziehen, frühstücken
und dann zum Haus fahren, um die Geschenke abzuholen?«
»Ich bin am Verhungern. Gestern
abend habe ich kaum etwas gegessen.«
»Und du
bist nicht die einzige, die hungrig ist.« Er warf einen Blick auf ihren Bauch,
den sie mit beiden Händen umfaßt hielt.
»Nein, ich
bin nicht die einzige.«
»Dann darf
ich euch beide zum Frühstück einladen.«
Sie errötete und wandte sich ab. Ihr
gefiel, wie Clay morgens war.
Als er
unter der Dusche stand, legte sie sich wieder aufs Bett und genoß die warmen Sonnenstrahlen.
Wie anders Clay doch heute morgen ist, dachte sie. Ihr gefielen sogar seine
Neckereien. Sie sah seine nackte Brust vor sich, die feine Linie rotgoldener
Haare über seiner Pyjamahose. Stöhnend rollte sie sich auf den Bauch, drückte
ihr Gesicht ins Kissen, während die Sonnenstrahlen wärmend über ihren Rücken
glitten – und schlief ein.
Er kam aus dem Bad, trug nur noch
seine Pyjamahose und hatte ein Handtuch um den Hals geschlungen. Lächelnd
betrachtete er den Anblick, der sich ihm bot: Ausgestreckt lag sie auf dem
Bett, hatte ein Bein leicht angewinkelt, und unter ihrem Morgenrock zeichneten
sich die Konturen ihrer Schultern, ihres Rückens und ihres Hinterns ab.
Am Tag ist
sie liebenswürdiger, dachte er.
Er nahm eine Rose aus dem Bukett und
kitzelte ihre Fußsohle damit. Sie krümmte die Zehen und wackelte irritiert mit
dem Fuß. Dann trat sie ihn gegen das Knie und lachte ins Kopfkissen.
»Hör auf«, schalt sie. »Ich sagte
dir doch, daß ich morgens nicht in bester Form bin.«
»Dabei habe
ich dich vorhin so nett gefunden.«
»Ich bin
ein Brummbär.«
»Warum liegst du noch im Bett?
Willst du dich nicht anziehen und mit mir frühstücken?«
»Ich habe
noch schnell ein Nickerchen gemacht.«
»Ein Nickerchen? Nachdem du gerade
aufgestanden warst?«
»Nun ja, du bist schuld daran.«
»Ach? Wie
das?«
»Dummkopf. Schwangere Frauen
schlafen viel. Das sagte ich dir schon.« Sie streckte ihm die Hand hin und
sagte: »Gib sie mir.«
Er reichte ihr die Rose, und sie roch
daran – sog tief den berauschenden Duft ein. Dann stand sie auf, verschwand
wortlos im Bad und zog sich an.
Catherine erkannte, daß ihr der
neue, ungewohnte Tagesablauf die größten Probleme bereitete. Clay schien sein
Leben wie bisher weiterzuführen, als wäre ihre Ehe nichts Ungewöhnliches,
während für sie die alltäglichsten Verrichtungen ungewohnt und fremd waren.
Dieser erste Tag ließ sie ahnen, wie ein Leben mit Clay verlaufen könnte, wenn
ihre Ehe unter anderen Voraussetzungen geschlossen worden wäre. Am frühen
Nachmittag an diesem sonnigen Novembertag fuhren beide ins Haus der Forresters,
um ihre Hochzeitsgeschenke abzuholen. Zusammen mit Angela und Claiborne
öffneten sie die meisten Pakete und ergötzten sich an den teilweise
absonderlichen Geschenken. Während sie zusammen mit Clay inmitten eines Haufen
Packpapiers saß, fühlte Catherine zum erstenmal ein Gefühl der Sicherheit, das
ihr dieses Familienleben gab.
Am späten Nachmittag verstauten sie
die Sachen im Auto und fuhren zu ihrem Stadthaus, das nun ihr Zuhause sein
würde. Die Arme mit Päckchen beladen, standen sie vor der Haustür. Clay legte
die Sachen auf den Boden, zog den Schlüssel aus der Hosentasche und sperrte
auf.
Er stieß die Tür auf, und ehe sie
sich versehen konnte, nahm er sie auf die Arme und trug sie über die Schwelle.
»Clay! «
»Ich weiß, ich weiß. Laß mich
runter, nicht wahr?«
Aber sie konnte nur lachen, denn er
tat so, als würde er unter ihrer Last zusammenbrechen, ließ sich auf die Treppe
sinken und hielt sie auf seinem Schoß.
»Im Kino
haben die Ehefrauen nie dicke Bäuche«, neckte er sie und stützte die Ellbogen
auf die darüberliegende Stufe. Sie zog eine Grimasse und warf ihm ein
Schimpfwort an den Kopf. Dann schob er sie von seinem Schoß und sagte: »Du
erdrückst mich, Dicke.«
Die
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