Lawinenexpreß
des Zoos oben auf dem Zürichberg standen. Damit war ein Sender im Heubeeri-Weg im Wald des Berggipfels lokalisiert. Professor Mohner, der hochgeehrte Meteorologe, hatte soeben seinen überlangen Funkspruch beendet, als an die Tür seines Wohnwagens geklopft wurde. Als er aufmachte, sah er sich Abwehrbeamten mit Pistolen in den Händen gegenüber.
»Ich habe mich schon gefragt, wie lange es dauern wird, bis Sie kommen«, sagte er.
Pünktlich um 23 Uhr rollte der Atlantik-Expreß im Züricher Hauptbahnhof an. Vor ihm lag die Fahrt nach Basel und dann in die Bundesrepublik Deutschland. In verschiedenen Abteilen machten es sich die zahlreichen neu Zugestiegenen gemütlich und hörten sich von Reisenden, die schon in Mailand eingestiegen waren, die Geschichte von der großen Lawine an. Als der Bahnsteig an ihm vorüberglitt, fiel Jorge Santos, der noch immer aus dem Fenster lehnte, ein Gepäckkarren auf, der verlassen auf dem Bahnsteig stand. Sein Mund preßte sich zusammen, als er das Fenster auf dem Gang hochzog und zu seinem Abteil zurückging. Wie in vielen anderen Abteilen waren auch in seinem die Vorhänge auf der Gangseite zugezogen. Erst als Santos die Tür aufmachte, sah er den Mann, der in dem sonst leeren Abteil auf seinem Fensterplatz saß. Santos trat ein und schloß die Tür. Seine Pfeife hing noch immer im linken Mundwinkel.
»Hallo, Nicos«, sagte Wargrave. »Ich habe mir gedacht, jetzt ist der Moment gekommen, gemeinsam vorzugehen.«
»Da gebe ich dir recht«, erwiderte Nicos Leonides. »Oberst Igor Scharpinsky ist soeben zugestiegen…«
23. Basel, Den Haag
Drei Jahre zuvor in Athen war es Harry Wargraves Einfall gewesen, daß Nicos Leonides, insgeheim ein überzeugter Antikommunist, versuchen sollte, sich in den sowjetischen Untergrundapparat auf dem Balkan einzuschleusen, indem er sich den Sowjets als privater Killer anbot. »Mir ist aus zuverlässiger Quelle zu Ohren gekommen, daß Oberst Scharpinsky hier in Athen an der sowjetischen Botschaft arbeitet«, hatte er erklärt. »Versuche, an ihn heranzukommen…«
»Das wird Zeit und Einfallsreichtum erfordern«, hatte Leonides gemahnt.
»Dann werden wir ihm Leichen liefern«, hatte Wargrave vorgeschlagen. »Leichen prominenter antikommunistischer Griechen, die er liebend gern tot sähe…«
Wargrave, der damals für den britischen Secret Service arbeitete, hatte neben seiner normalen Arbeit in der für ihn typischer Weise auf eigene Faust operiert. In einem bestimmten Zeitraum hatten Wargrave und Leonides – nachdem der Grieche Scharpinsky am Telefon überredet hatte, er solle ihm erlauben, sich zu bewähren – drei wichtige Hinrichtungen, drei ›Leichen‹ geliefert.
Das erste ›Opfer‹ war der ältere antikommunistische Herausgeber einer führenden Athener Tageszeitung gewesen. Er war nur einer von Leonides’ zahlreichen Freunden – und auf dem Balkan stehen sich Freunde weit näher als im Westen. Als ihm klar wurde, daß er bei den Sowjets ohnehin auf der Abschußliste stand, hatte sich der Zeitungsmann willig bereit erklärt, mitzumachen. Seinen ausgebrannten Wagen hatte man nach einer stürmischen Nacht am Fuß eines steilen Felsens gefunden, und es war angenommen worden, sein Leichnam sei in die offene See hinausgespült worden. Statt dessen war der ›tote‹ Verleger, ein Witwer, heimlich mit einem Motorboot auf eine der entlegeneren griechischen Inseln gebracht worden, wo er sich noch immer seines ungewöhnlichen Ruhestands erfreute.
In angemessener Folge hatten sich zwei weitere ›Opfer‹ zur Zusammenarbeit bereit erklärt, beides Freunde Leonides’ aus dem griechischen antikommunistischen Untergrund. Auch sie waren Witwer, so daß es keine familiären Komplikationen geben konnte. Einer, ein alternder Politiker, war in einem Flugzeug ›ums Leben gekommene das nach einer Bombenexplosion ins Meer gestürzt war – aber erst nachdem der Politiker, der die Maschine geflogen hatte, sich zuvor mit dem Fallschirm über Land in Sicherheit gebracht hatte. Der dritte Mann, ein ranghoher älterer Abwehrmann, der kurz vor der Pensionierung stand, war verstorben‹, als sein Wagen beim Drehen des Zündschlüssels explodierte. Die Überreste des Leichnams, die man weit verstreut fand, waren die eines Toten, den Leonides aus einem Leichenschauhaus gestohlen hatte.
Alle drei griechischen ›Opfer‹ lebten jetzt auf der entlegenen Insel in der Ägäis – und lebten vom ›Erlös‹ eines großen Bankraubs, den
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