Lawinenexpreß
Spionageschiffen, den Kurs. Das Schiff war mit hochentwickelten elektronischen Geräten ausgerüstet und befand sich auf der Fahrt von der Ostsee nach dem afrikanischen Staat Angola. Der Kapitän des Schiffs, Josef Morow, hatte von seinem Heimathafen Leningrad einen dringenden verschlüsselten Funkspruch empfangen, in dem ihm befohlen wurde, vor der Rheinmündung in der Nähe Rotterdams vor Anker zu gehen. Das Schiff durchpflügte schwere See, als der Kapitän diese neue Anweisung mit Kommissar Walentin Rykin erörterte, der ebenfalls einen Funkspruch erhalten hatte.
»Ich würde gern wissen, wie lange wir noch warten sollen«, sagte Morow barsch. »Ich bin für die Sicherheit dieses Schiffes verantwortlich, und das Barometer fällt sehr schnell…«
Rykin, ein kleinwüchsiger, breitschultriger Mann mit einem dichten schwarzen Haarschopf, dessen Rang höher war als selbst der des Kapitäns, zuckte nur die Achseln. »Zwölf Stunden, vielleicht. Dann kehren wir um und fahren mit voller Kraft nach Leningrad zurück…«
»Mit voller Kraft! Bei diesem Wetter…«
»Das ist Ihr Problem. Sie müssen darauf vorbereitet sein, eine große Zahl wichtiger Agenten an Bord zu nehmen, die in Abständen mit Motorbooten zum Schiff kommen – möglicherweise werden sie sogar von holländischen Torpedobooten verfolgt werden.«
»Wir werden uns in holländischen Gewässern befinden. Wenn die Leute der niederländischen Küstenwache an Bord kommen wollen…«
»Sie werden davon abgehalten werden«, bellte Rykin. »Ich habe schon Befehl gegeben, Maschinengewehre zu montieren…«
»Sie müssen verrückt sein«, protestierte Morow. »Sie können doch nicht auf holländische Schiffe das Feuer eröffnen – das wird eine internationale Krise geben…«
»Es wird nur geschehen, falls es notwendig werden sollte…« Eine riesige Welle traf die Kommandobrücke, und Kommissar Rykin wurde gegen die Holzvertäfelung geschleudert, als der Bug des Schiffs in die schäumenden grünen Fluten eintauchte. Rykin gewann das Gleichgewicht wieder und zwang sich, nicht mehr den schmerzenden vorletzten Ellbogen zu reiben; ein Sowjetkommissar war gegen Schmerz unempfindlich. »Nur im Notfall«, wiederholte er. »Außerdem ist Holland nichts weiter als ein Spielzeugstaat«, schnaubte er verächtlich. »Wie viele Panzerdivisionen können die schon auf die Beine stellen?«
Es war Mitternacht, als der Atlantik-Expreß sich Basel näherte. In Den Haag war es ebenfalls Mitternacht, als General Max Scholten im Hauptquartier der niederländischen Abwehr am Fenster seines Büros im zweiten Stock stand. Das Gebäude stand am Hofvijver-See mitten in der Stadt. Der stürmische Wind der Stärke acht, der von der Nordsee her hereinwehte, peitschte die Oberfläche des Sees auf und brachte das sonst so ruhige Gewässer in Wallung. Ähnlich sah es im Kopf des holländischen Abwehrchefs aus. Sein Assistent, Major Sailer, legte den Hörer auf und meldete die Neuigkeit.
»Der Atlantik-Expreß wird in fünf Minuten in Basel einlaufen – und bislang hat General Marenkow überlebt…«
»Was die Berichte erklärt, die ich aus Deutschland und Frankreich erhalte, daß nämlich die sowjetischen Spitzenagenten zu laufen anfangen – und offensichtlich in unsere Richtung. Die Deutschen haben ihre Grenze zur DDR abgeriegelt…«
»Und Sie erwähnten, Sie hätten zuverlässig erfahren, daß die Geiger-Gruppe nach Holland kommt«, erinnerte Sailer seinen Chef. »Nicht, daß ich da einen Zusammenhang sehe…«
»Na, ich weiß nicht…« In der Ferne konnte der rundgesichtige holländische Abwehrchef die verschwommenen Umrisse des Parlamentsgebäudes sehen. Sailer stellte sich neben ihm ans Fenster. »Meinen Sie nicht, daß wir vielleicht den Minister informieren sollten…«
»Um diese Uhrzeit?« fragte Scholten mit gespieltem Entsetzen. »Und außerdem ist Wochenende – fast Sonntagmorgen. Nein, diese Sache werde ich allein in die Hand nehmen…« Er verstummte, als Sailer den Hörer des Telefons abnahm, das für Gespräche der höchsten Dringlichkeitsstufe reserviert war. Sailer hörte zu, bedankte sich und legte auf.
»Die Hochsee-Radar-Leute von der Marine haben soeben den sowjetischen Superfrachter Maxim Gorkij auf die Schirme bekommen. Sie sagen, er habe den Kurs geändert und laufe direkt auf die Rheinmündung zu…«
Scholten warf einen Blick auf eine Wandkarte Westeuropas. »Jetzt würde ich aber wirklich gern wissen, was das zu sagen hat – ich spüre,
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