Lawinenexpreß
daß sich hier ein Mosaik ergibt, das den Atlantik-Expreß mit dem Frachter in Zusammenhang bringen könnte. Ich möchte mit Harry Wargrave im Expreß telefonieren…«
»Aber der Expreß kommt nicht einen Moment auch nur in die Nähe der Maasmündung…« Sailer meinte die Rheinmündung. »Er fährt direkt über das Rheinland nach Amsterdam…«
»Versetzen Sie sämtliche Torpedoboot-Patrouillen in Alarmbereitschaft«, befahl Scholten.
Als der Atlantik-Expreß durch die Baseler Außenbezirke auf den Bahnhof zurollte, sprach Wargrave in Neckers Funkabteil über Funktelefon mit General Max Scholten. Es war keine lange Unterhaltung, da beide Männer über die Gabe verfügten, sich knapp und präzise auszudrücken. Als er auf Wiederhören sagte, dankte Wargrave im stillen Gott, daß am Ende des Fluchtwegs – im holländischen Sektor – einer der überzeugtesten und rücksichtslosesten Abwehrchefs Europas zuständig war. Dem rosigen Max Scholten „sah man seinen harten Antikommunismus nicht ohne weiteres an.
Seitdem der Zug Zürich verlassen hatte, hatte Necker zahlreiche Funksprüche senden müssen. Einer war an Hauptmann Franz Wander vom deutschen BND gegangen, der in Basel auf dem Badischen Bahnhof wartete – dem Bahnhof jenseits des Baseler Bundesbahnhofs, an dem die deutschen Grenz- und Zollbeamten sämtliche nach Deutschland gehenden Züge besteigen. Selbst wenn der Funkspruch von den Sowjets aufgefangen worden wäre, hätte er für sie keinen Sinn ergeben. Er lautete: Inge befindet sich im Atlantik-Expreß. Bitte besteiget} Sie den Zug und nehmen Verhaftung vor, sobald deutsches Territorium erreicht ist. Im Klartext bedeutete der Funkspruch, daß Marenkow alias Inge noch am Leben sei und daß um umfassende Sicherheitsvorkehrungen gebeten werde, sobald von den Schweizer Behörden übernommen werde.
Zwei Minuten später rollte der Expreß unter dem Dach des Baseler Bundesbahnhofs in die Gleishalle und hielt. In seinem Abteil hatte Waldo Hackmann das Rollo hochgezogen und das Licht ausgemacht und saß jetzt im Dunkeln auf seinem Platz. Nur die glühende Spitze seiner Zigarre war zu sehen. Der Zufall wollte es, daß er von seinem Fenster aus auf den mit einem Drahtzaun abgesperrten ›Käfig‹ blicken konnte, in dem Reisende warten mußten, die nach der Schweizer Zollkontrolle in die Züge einsteigen wollten.
Hackmann nahm seine Zigarre fester zwischen die Zähne, als er die Menschen im ›Käfig‹ studierte. Unter ihnen erkannte er deutlich Jurij Gusew, den ›Star‹ unter den Killern des GRU, ein Stück weiter entfernt Rudi Bühler, seinen Stellvertreter, der schon vorher mit der Bahn von Zürich nach Basel gefahren war. Bühler, ein massiger Mann mittlerer Größe mit einem ledern wirkenden Teint, hatte seine äußere Erscheinung verändert. Er trug jetzt französische Kleidung und hatte einen langen Regenmantel an, der ihn etwas größer erscheinen ließ. In der Tasche trug er einen Reisepaß, der ihn als Pierre Masson, Werbegraphiker, auswies.
Jurij Gusew war klein, hatte einen breiten Brustkorb und große Füße, die in handgearbeiteten Schuhen steckten. Er trug nur eine Aktentasche – die bereits durchsucht worden war – und stand mit hochgezogenen Schultern neben dem geschlossenen Ausgangstor, als Oberst Springer den ›Käfig‹ betrat. Hinterher konnte Springer sich nie Klarheit darüber verschaffen, was es gewesen war, das seine Aufmerksamkeit auf Jurij Gusew gelenkt hatte. Sein Instinkt? Vielleicht eine Aura der Anspannung, die den in der Nähe des Ausgangs stehenden Mann umgab, der ungeduldig darauf zu warten schien, den engen Drahtkäfig verlassen zu können?
»Wer ist das?« fragte er einen der Abwehrleute.
»Ein Holländer namens Stoel…«
Springer blieb, wo er war, und starrte immer noch Gusew an, der zwei Meter entfernt stand. Während eines langen Urlaubs in den Niederlanden hatte Springer, ein sehr sprachbegabter Mann, sich einige Kenntnisse der Landessprache angeeignet. Er rief auf holländisch aus: »Warum reisen Sie nach Holland? Welchen Beruf haben Sie? Wie lange haben Sie sich in der Schweiz aufgehalten?«
Gusew erstarrte. Er verstand nicht, antwortete dann auf Deutsch. »Sprechen Sie mit mir? Wie lange will man uns hier noch wie Tiere in den Käfig sperren?«
»Wenn der Holländer ist, bin ich es auch«, murmelte Springer.
»Man hat seine Aktentasche untersucht und außerdem eine Leibesvisitation vorgenommen. Keine Waffen«, erwiderte der Abwehrbeamte.
Springer
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