Lawinenexpreß
genommen. Jedes Mitglied der Gruppe trug im Einsatz eine schwarze wollene Skimaske, eine schwarze Windjacke und schwarze Skihosen. Diese Aufmachung machte einen tief erschreckenden und düsteren Eindruck. Geiger blickte auf die Uhr.
»Jetzt können wir nichts weiter tun, als auf den nächsten Funkspruch zu warten…«
»Du vertraust diesem Joop Kist?« fragte Erika zweifelnd.
»Der ist auch so ein Bauer, ein Idealist – jedenfalls habe ich dafür gesorgt, daß er sehr wenig über unsere Pläne weiß…«
»Er macht mir trotzdem Kummer. Wenn es einen Notfall gibt und ich recht behalte?«
»Dann erschieß ihn«, sagte ihr Geiger fröhlich.
Der Atlantik-Expreß raste schon durch die von Schneestürmen heimgesuchte Bundesrepublik, als Elsa Lang vom Anfang des Zuges zum letzten Schlafwagen zurückging. Sie war jetzt fast am Ende ihrer Kraft. Es war ihre eigene Idee gewesen, sämtliche Reisenden des Zuges anzusehen, um herauszufinden, ob der KGB-Oberst sich im Zug befand. Die Skizze Igor Scharpinskys hatte sie sich längst eingeprägt. Als sie den nächsten Schlafwagen erreichte, drehte sich Waldo Hackmann – nachdem er dem Schaffner am Ende des Waggons ein großzügiges Trinkgeld gegeben hatte – um und ging mit einem Glas Kognak zu seinem Abteil zurück.
Einen Moment lang trafen sich ihre Blicke, dann ging Hackmann vor ihr her und verschwand in seift Abteil. Als sie an der Tür vorüberkam, merkte sich Elsa automatisch die Nummer. Abteil 19. An diesem Reisenden war ihr nichts bekannt vorgekommen. Als sie an einem von Hauptmann Wanders Hundeführern vorbeikam, streichelte sie das Tier, kehrte zu einem der leeren Abteile im letzten Schlafwagen zurück und sagte Matt Leroy gute Nacht, der gerade Wache hielt. »Angenehme Träume«, wünschte ihr der schnauzbärtige Amerikaner.
»Ich werde schlafen wie ein Stein…«
Sie ließ sich angezogen auf das untere Bett fallen und schlief augenblicklich ein. Sie hatte aber keine angenehmen Träume; statt dessen wälzte sie sich ständig unter Alpträumen unruhig hin und her. Sie befand sich im Baseler Hauptbahnhof, um wieder einmal eine dieser elenden Kassetten zu übernehmen… sie landete mit Wargrave auf dem Flugplatz vor Bukarest und sah, wie General Marenkow und nicht Anatolij Sarubin auf die Maschine zuging… hörte das plötzliche Maschinengewehrfeuer auf dem Mailänder Flughafen, als aus dem falschen Krankenwagen auf die Rückseite des Lastwagens gefeuert wurde, in dessen Fahrerkabine sie mit Wargrave und Marenkow saß… wieder Maschinengewehrfeuer, als sie bei Vira auf dem Fußboden lag, während aus dem vorbeifahrenden Jeep ein Kugelhagel den Schlafwagen durchsiebte… sah die heranstürmende Lawine näher kommen, die alles unter sich begrub – da wachte sie auf. Sie seufzte erleichtert auf und lauschte dem gleichmäßigen Geräusch der Räder des Expreß, der sie nach Schiphol bringen sollte, in Sicherheit…
Um 2 Uhr 30 näherte sich der Expreß Karlsruhe, wo er einen kurzen Aufenthalt haben würde. In Abteil 19 schlürfte Scharpinsky den letzten Rest Kognak aus. Dann sprach er mit Rudi Bühler, der vor zehn Minuten, als der deutsche Hundeführer vorübergehend aus dem Gang verschwunden war, ins Abteil gekommen war.
»Sie müssen zusehen, daß Sie diesen Funkspruch auf den Weg bringen«, sagte Scharpinsky seinem Stellvertreter. »Sie müssen in Karlsruhe aussteigen – dort wird ein Wagen auf Sie warten –, zum Haus fahren und sich dort persönlich vergewissern, daß der Funkspruch sofort nach Amsterdam übermittelt wird. Irgendwelche Fragen?« Er sagte dies in einem Ton, als könnte es keine geben.
»Das ist ein sehr langer Funkspruch«, bemerkte Bühler, als er die verschlüsselte Nachricht betrachtete, die der Russe ihm ausgehändigt hatte. »Wenn die Deutschen Funkpeilwagen einsetzen…«
»In diesem Stadium des Unternehmens sind wir alle entbehrlich«, sagte ihm Scharpinsky brutal. »Auch ich«, fügte er unverblümt hinzu.
»Sie haben also vor, im Expreß zu bleiben?«
»Bis zum allerletzten Moment – für den Fall, daß ich die Aufgabe selbst erledigen kann. Obwohl ich da meine Zweifel habe – bei all diesen verdammten Hunden, die der BND hier im Zug eingesetzt hat.«
Bühler warf seinem Chef einen Blick zu, der mit gewohnter Selbstbeherrschung gesprochen hatte. Bühler hatte Igor Scharpinsky noch nie gemocht, aber jetzt, kurz vor dem Abschied, empfand er doch so etwas wie widerwillige Bewunderung für den KGB-Oberst. Der Kerl hat
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