Lawinenexpreß
brachte, die weißen Schaumkronen gesehen, die gegen die holländische Küste schlugen. »Übrigens«, fragte Sailer, »haben Sie den Minister über die jüngste Entwicklung informiert?«
»Noch nicht.« Scholten wandte sich vom Fenster ab und lächelte. »Es ist immerhin Samstag, und wir wollen ihm doch nicht das Wochenende verderben. Jedenfalls nicht vor der Zeit…«
Die Wahrheit war, daß Scholten – ebenso wie General Traber in Zürich – nicht die leiseste Absicht hatte, mit seiner Regierung in Verbindung zu treten. Die Revolte der Abwehrchefs gegen ihre unentschlossenen Politiker kam allmählich auf Touren.
Im Zimmer 207 des Hotels Schweizerhof in Zürich war es 16 Uhr 30, als auch Heinz Golchack hörte, daß der Züricher Flughafen geschlossen worden war. Er hatte die simple Vorsichtsmaßnahme ergriffen, seinen Stellvertreter Rudi Bühler beim Flughafen anrufen zu lassen, wann eine bestimmte Maschine nach Deutschland starte. Er reagierte sofort auf die Nachricht.
»Das bedeutet, daß sie Peter bis nach Schiphol in Holland bringen müssen. Nur für den Fall, daß er hier überhaupt lebend ankommt, werden wir ein paar weitere Vorbereitungen treffen…«
Golchack schrieb zwei weitere Funksprüche zum Verschlüsseln nieder, die er seinem Funker Heinrich Baum zur Übermittlung an Professor Mohner in seinem Caravan auf dem Zürichberg gab. Mohner würde sie dann an den endgültigen Bestimmungsort funken. Der erste Funkspruch ging an den erfahrenen GRU-Agenten Jurij Gusew, der sich in diesem Augenblick in Mülhausen in Frankreich aufhielt – in der Nähe Basels also. Der zweite Funkspruch war für Rolf Geiger bestimmt, den führenden Kopf der terroristischen Geiger-Gruppe, die soeben in Amsterdam eingetroffen war.
In diesem Augenblick, in dem der große Schneesturm weiter über Europa tobte, schwirrte der Äther vor Funksprüchen, die von einem Sender zum andern gingen, mochten sie legal oder illegal sein. Und eine halbe Stunde bevor der Atlantik-Expreß zu seiner langen Fahrt abfuhr, bewegten sich zwei große feindliche Streitmächte – die westlichen Abwehrsysteme und der kombinierte Apparat von KGB und GRU – aufeinander zu. Sie waren auf Kollisionskurs.
Um 16 Uhr 35 waren die Sparta-Leute bereit, General Marenkow zum Mailänder Hauptbahnhof und zum Atlantik-Expreß zu bringen. Wargrave, der sich in einem Raum im dritten Stock allein mit Oberst Molinari befand, besprach mit dem SIFAR-Chef noch letzte Einzelheiten der notwendigen Sicherheitsvorkehrungen, Phillip John war schon mit Peter Necker in seinem eigenen Wagen zum Bahnhof abgefahren; Necker, der Funker, sollte die Sendeanlage bedienen, die Molinari im zweiten Schlafwagen hatte installieren lassen.
»Alles klar?« fragte Wargrave.
»Völlig. Und bestens ausgeklügelt«, bestätigte Molinari. »Ich wünsche Ihnen außergewöhnlich viel Glück…«
»Zeit, daß wir losfahren…«
In dem durch zwei Stockwerke gehenden Raum wartete Elsa zusammen mit Marenkow, der ihren Gucci-Reisekoffer trug. »Du siehst verdammt kostspielig aus. Ich könnte dich nie ernähren«, ließ Wargrave sich vernehmen. Elsa zog eine Schnute, wirbelte in ihren Gucci-Schuhen herum, ließ ihren Zobelmantel flattern und zeigte ihre zum Koffer passende Gucci-Handtasche. »Ich bin ziemlich sicher, daß du dir eine Frau wie mich nicht leisten kannst«, sagte sie ihm schnippisch. Sie hakte sich bei Marenkow ein. »Dieser Herr paßt weit besser zu mir, wie du siehst…«
Der Russe war das Urbild des erfolgreichen Industriekapitäns, als er in seinem Vicuna-Mantel, seinen handgearbeiteten Schuhen und seinem Homburg dastand. Um zu demonstrieren, daß er seine Lektion gelernt hatte, machte er ein paar energische, leichtfüßige Schritte durchs Zimmer – die völlig anders waren als sein normales schweres Stampfen. Elsa klatschte in die Hände und applaudierte. Wargrave nickte beifällig, als er auf die Tür zuging, die zum Hof hinunterführte, wo der Mercedes 450 SEL Automatic bereitstand. Er nahm nur noch die Hälfte von dem wahr, was im Raum vorging; sein Geist beschäftigte sich genauso mit der Frage, ob er auch nichts vergessen hatte. Er sah sich noch einmal prüfend um. Als er oben nach seinem Gespräch mit Molinari allein zurückgeblieben war, hatte er noch ein letztes Telefonat geführt, aber diesmal nicht mit dem Scrambler-Telefon. Es war ein vorbestelltes, handvermitteltes Gespräch gewesen, das er beim Mailänder Fernamt angemeldet hatte: ein Gespräch mit
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