Lawinenexpreß
Zeit.«
Frey ließ das Nachtglas sinken und zog die Vorhänge zu. »Machen Sie das verdammte Licht an!« schnauzte er. Als das Zimmer wieder erleuchtet war, ging er zu einem Wandschrank hinüber, nahm eine Flasche heraus und goß sich ein Glas Wein ein. Er stand da und trank es aus, bevor er sprach.
»Schön, ich gebe Ihnen recht – es sieht aus, als hätten wir unseren Spion gefunden.«
13. Mailand, Hauptbahnhof
Matt Leroy ging durch die Sperre und bestieg den zweiten Schlafwagen um genau 16 Uhr 55 – zehn Minuten vor Abfahrt des Zuges. Er machte sich auf den Weg ans Ende des Zuges und begann, jedes Abteil zu durchsuchen. Auf Gleis fünf im Milano Centrale erstreckte sich der sechzehn Waggons lange Atlantik-Expreß. Am Ende des Zuges befanden sich die beiden Schlafwagen, die für die Sparta-Leute angehängt worden waren.
Davor standen die beiden fahrplanmäßigen Schlafwagen und davor die drei regulären Erster-Klasse-Wagen. Der Rest des Zuges bestand aus Zweiter-Klasse-Wagen – die meisten waren schon besetzt – und dem Speisewagen. In dem zweiten der hintersten Schlafwagen nahm Leroy von einem als Bahninspektor gekleideten SIFAR-Mann drei Schlüssel entgegen. Sämtliche Schlüssel waren gleich und paßten für die Vordertür des Waggons, so daß die beiden letzten Wagen vom Rest des Zuges abgeriegelt werden konnten. Als Leroy das letzte Abteil erreichte, machte er ein bestimmtes Klopfzeichen. Peter Necker öffnete die Tür erst einen Spaltbreit, dann weiter.
»Haben Sie alles bekommen, was Sie brauchen?« wollte Leroy wissen.
»Die Funkanlage ist einfach hervorragend«, erwiderte der Deutsche in seinem gepflegten Englisch.
Leroy warf einen Blick ins Abteil. Dort befanden sich dermaßen viele Instrumente, daß er sich an das Cockpit einer Boeing 747 erinnert fühlte. Er nickte Necker einen kurzen Gruß zu und ging weiter, um den letzten Waggon zu untersuchen. Jetzt stand die Ankunft von Mr. und Mrs. Wells – von General Marenkow und Elsa Lang – unmittelbar bevor.
Jenseits der Haupthalle, in der tiefer gelegenen kleinen Halle am unteren Ende der Rolltreppen, stand Phillip John in der Nähe des Ausgangs. Er blickte einmal auf die Uhr und begann dann, auf und ab zu wandern, um sich warmzuhalten, während immer mehr Fahrgäste in den riesigen Bahnhof hinauffuhren. Er behielt die Via Pisani draußen weiter im Auge und hielt nach einem dunkelblauen Mercedes 450 SEL Automatic Ausschau.
Hinterm Lenkrad des Mercedes sah Wargrave die weitläufige Silhouette des Milano Centrale näherkommen, als er mit gleichbleibender, aber nicht zu hoher Geschwindigkeit darauf zufuhr. Zu seiner Linken ragte das rhombenförmige, gigantische Pirelli-Gebäude in die Höhe. Hinter ihm saßen Elsa und Marenkow. Seit der Abfahrt vom Innenhof des geheimen Quartiers von Oberst Molinari hatte niemand ein Wort gesprochen, und er entschied, daß es an der Zeit sei, ein wenig die Spannung zu lockern.
»Molinari befindet sich schon im Bahnhof, um die Sicherheitsvorkehrungen zu prüfen«, sagte er zu Marenkow. »Elsa wird Sie in die Haupthalle bringen und dann über die Rolltreppe zur oberen Halle. Widerstehen Sie der Versuchung, sich zu beeilen – im Bahnhof wimmelt es von Wachen, obwohl Sie das nicht sehen werden. Ich werde Ihnen folgen und am oberen Ende der Rolltreppe auf Sie warten. Ich werde auch darauf achten, daß Sie nicht verfolgt werden.«
»Ein wohlorganisiertes Unternehmen, Mr. Wargrave«, bemerkte der Russe. »Bis jetzt jedenfalls…«
»Vielen Dank für Ihren Vertrauensbeweis«, versetzte Wargrave trocken.
»Ich wollte Ihnen nur eine kleine Warnung zukommen lassen«, entgegnete Marenkow ruhig. »Irgendwo werden sie den ersten Versuch wagen – vielleicht schon in den nächsten Minuten…«
»So ist’s richtig«, sagte Elsa heiter. »Muntern Sie uns ruhig auf.«
»Was auch immer geschieht, wenn wir gleich anhalten – Sie gehen unbeirrt in den Bahnhof hinein«, wies Wargrave ihn an. »Was auch immer geschieht«, wiederholte er.
Er wendete den Mercedes, kurvte an den Bordstein heran und hielt an. Ein Gepäckträger riß den hinteren Schlag mit ungewöhnlicher Schnelligkeit auf; wenigstens trug der SIFAR-Mann die Uniform eines Gepäckträgers. Er nahm den Gucci-Reisekoffer an sich und verschwand auf der Treppe. Marenkow stieg gerade hinter Elsa Lang aus dem Wagen aus, als sich der Zwischenfall ereignete. Zwei Wagen, die sich dem Bahnhof näherten, stießen mit einem ohrenbetäubenden Krachen zusammen. Der
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