Lawinenexpreß
Treiben des Apres-Ski.
Nach Einbruch der Dunkelheit war der stets zu Spaßen aufgelegte und schulterklopfende Schweizer in seinem Element. Der von seiner Frau getrennt lebende Robert Frey hatte einen großen Appetit auf Frauen, und es verging kaum ein Abend, an dem sein Appetit nicht mit einer neuen Eroberung gestillt wurde. Anna Markos war – bis jetzt – einer seiner wenigen Mißerfolge. Der inzwischen verheilte Kratzer auf seiner rechten Wange zeugte davon, wie heftig sich Anna verteidigt hatte, als er sie in ihrem Schlafzimmer überrascht und ihr den Weg versperrt hatte. Seitdem begehrte er sie nur noch mehr; er saß breitbeinig vor dem offenen Feuer da, starrte ihre wundervollen Schenkel an und malte sich den Augenblick aus, in dem sie unter seinem mächtigen Leib begraben sein würden.
»Na, schon wieder beim Träumen?« fragte Anna sarkastisch.
Robert Frey antwortete nicht. Er warf zwei französischen Mädchen, die soeben die Bar betreten hatten, einen Blick zu. Sie starrten ihn einen Moment frech an und bestellten sich dann zwei Drinks. Von der Diskothek im Nebenraum tönte Popmusik herüber; einige Paare begannen zu tanzen. Der Abend kam nur langsam in Fahrt. Er seufzte, leerte sein Glas und stand auf. Er beugte sich hinunter und nahm Anna Markos Kinn in seine mächtige Pranke. Sie starrte herausfordernd zu ihm hinauf.
»Ich sehe dich nachher noch, meine Schöne…«
Sie sagte nichts, als er losschlenderte, seinen Parka vom Kleiderhaken nahm und ihn um die Schultern legte. Er ging in die Nacht hinaus und kletterte hinters Lenkrad seines VW-Transporters. Als er weggefahren war, ließ Anna Markos ihr Getränk stehen, ging zum Hotelausgang, wobei sie ihre pelzgefütterte Skijacke anzog, und sah hinaus. Jetzt um fünf Uhr war es schon stockdunkel, und in dem leichten Schneefall verschwammen die Lichter der kleinen Stadt zu einem sanften Glühen. Sie eilte zu ihrem gemieteten Renault und schloß ihn auf. Als sie den Zündschlüssel drehte, verschwanden in der Ferne schon die Rücklichter von Freys Wagen.
Sie folgte ihm durch die enge Straße, in der Paare mit Skiern auf den Schultern dahinschlenderten. Die Skier sahen aus wie schreckliche Waffen. Dann bremste sie ab und fuhr an den Straßenrand, um zwei Armeefahrzeuge passieren zu lassen. Sie blickte zurück und sah, daß Soldaten mit automatischen Waffen hinter der zurückgezogenen Abdeckplane hervorlugten. Ist hier irgendeine militärische Übung in Gang? fragte sie sich. Anna Markos konnte nicht wissen, daß General Traber von seinem Züricher Hauptquartier aus eine Teilalarmbereitschaft für die gesamte Schweiz angeordnet hatte.
Sie fuhr weiter und erreichte den Stadtrand; Andermatt endet urplötzlich. Dahinter erstreckte sich das schnurgerade Tal, das nach Gletsch und zum Rhone-Gletscher führt; in einem der Eistunnel dieses Gletschers hatte man vor kurzem den Agenten Oberst Springers ermordet aufgefunden. Sie hielt am Rand der verlassenen Straße an, verließ den Wagen, zog einen kleinen einäugigen Feldstecher aus der Tasche und sah hindurch. Die Sicht durch die einzige Linse war nicht allzu gut, aber die Lichter einiger Bauernhäuser ließen sie deutlicher sehen, und zudem hörte es jetzt auf zu schneien. Sie war noch rechtzeitig gekommen, um Freys Transporter in der Toreinfahrt verschwinden zu sehen. Über den eng beieinanderstehenden Häusern erhob sich die Funkantenne, mit der Frey zur Lawinenforschungsanstalt oberhalb von Davos Verbindung hielt.
Als Anna Markos allein neben ihrem Wagen stand, konnte sie das starke Nachtglas nicht sehen, daß von einem der Fenster des Bauernhauses auf sie gerichtet wurde. Emil Platow, ein kleinwüchsiger, dünner Schweizer von vierzig Jahren, mit braunem Haar und Koteletten, ließ das Nachtglas sinken, als Robert Frey den abgedunkelten Raum betrat und seinen Parka abwarf. Seine Silhouette zeichnete sich vor dem Licht im Flur ab. »Was zum Teufel geht hier vor?«
»Diese Freundin von Ihnen ist hinter Ihnen hergefahren. Sie hat kurz hinter der Stadt angehalten. Dies ist schon das zweite Mal. Ich glaube, sie beobachtet uns durch ein Fernglas…«
Ohne ein Wort nahm Frey Platow das Nachtglas ab und beobachtete den in der Ferne geparkten Renault und die schattenhafte Gestalt, die daneben stand. Das Gesicht war zwar unmöglich zu erkennen, aber die Haltung, die Gestalt und der Wagen waren ihm vertraut. Platow sprach weiter.
»Ich habe sie vorgestern abend an genau derselben Stelle entdeckt, etwa um die gleiche
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