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Lawinenexpreß

Lawinenexpreß

Titel: Lawinenexpreß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Forbes
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Seltsamerweise war es der gemäßigte Sarubin gewesen, der Pratschkos Vorschlag unterstützt hatte, aber er hatte dies in sehr vorsichtigen Formulierungen getan.
    »Da Oberst Scharpinsky, ihr persönlicher Schützling«, erinnerte der kleine, dunkelhaarige Russe Pratschko, »es versäumt hat, seinen eigenen Chef rechtzeitig zu verdächtigen, schlage ich vor, daß wir ihm Gelegenheit geben, seinen gigantischen Fehler zu korrigieren…«
    Pratschko wurde borstig wie die ihm aus Ohren und Nase herausragenden Härchen, grunzte etwas und schwieg. Es war der Erste Sekretär, Leonid Sedow, der schließlich die bange Frage stellte. Sedow, der seine Position dadurch sicherte, daß er die Gemäßigten und die Scharfmacher in einem Drahtseilakt im Gleichgewicht hielt, gefiel Sarubins Reaktion insgeheim sehr. Falls es zu einem großen Desaster kam, würden sie die Verantwortung auf der breiten Brust Pratschkos abladen können.
    »Was sollen wir tun?« wollte Sedow wissen. »Was passiert mit allen wichtigen KGB-Agenten in Westeuropa – Agenten, deren Namen und Adressen Marenkow in seinem bemerkenswerten Gedächtnis gespeichert hat?« Er schwieg einen Moment. »Ich denke dabei vor allem an die Bundesrepublik Deutschland…«
    Die drei Männer an dem langen, blankpolierten Konferenztisch unter den Kronleuchtern des Kremlsaals sprachen eine Minute lang kein Wort. Dies war eine lebenswichtige Frage. Vor zehn Jahren noch waren die meisten der viertausend kommunistischen Spione in der Bundesrepublik Westdeutsche gewesen; sie hatten sich später als unzuverlässig erwiesen und waren unter großen Mühen durch linientreue DDR-Bürger ersetzt worden, denen man eine falsche Identität hatte geben müssen – und das ist eine Arbeit, die sich nicht über Nacht erledigen läßt. Und jetzt wurden diese feindlichen Agenten von dem westdeutschen Analytiker Dr. Richard Meier mit Hilfe eines unter dem Namen NADIS bekannten Hochleistungscomputers aufgespürt.
    NADIS war mit Daten über die Verhaltensmuster von Personen gefüttert worden, die man verdächtigte, sowjetische Agenten zu sein – mit Angaben über tote Briefkästen, Geldbewegungen auf verdächtigen Bankkonten, über heimliche Agententreffpunkte. Aus den Daten, die der Computer ausdruckte, konnte Meier scheinbar nicht miteinander in Verbindung stehende Personen und Ereignisse zusammenbringen und Querverbindungen nachweisen. Wenn man dazu noch in Betracht zog, daß Marenkow die Namen und Adressen der wichtigsten KGB-Leute kannte, war der deutsche BND in der Lage, ein riesiges Schleppnetz auszuwerfen und den gesamten Untergrundapparat der Sowjets mit einem Fischzug zu beseitigen. Es würde mindestens ein Jahrzehnt dauern, diesen Apparat wiederaufzubauen. Es war Leonid Sedow, der das Schweigen brach.
    »Falls Marenkow entkommen sollte«, meinte er, »wäre es dann nicht besser, die Agenten zu evakuieren? Sie könnten später wieder in die Bundesrepublik einsickern. Es dauert mindestens fünf Jahre, einen Agenten auszubilden«, erinnerte er sie.
    »Sie schlagen vor, wir sollten einen vorläufigen Alarm auslösen?« fragte Pratschko.
    »Dies ist vielleicht eher Ihr Fachgebiet«, wich Sedow elegant aus.
    Marschal Pratschko saß in der Klemme, und das wußte er genau. Wenn er nein sagte und es zu einer Katastrophe kam, würde man ihm die Schuld geben. Wenn er ja sagte – ja zur Evakuierung – und sich diese Maßnahme als unnötig erwies, würde man ihm ebenfalls die Schuld aufladen.
    »Nur einen vorläufigen Alarm«, sagte er schließlich. Er wollte noch ein paar Pfeile im Köcher behalten.
    »Und da Ihr Schützling, Oberst Scharpinsky, das Unternehmen zur Vernichtung Marenkows leitet«, bemerkte Sarubin listig, »wie könnte da etwas schiefgehen?«
     
     
    D ER Z ÜRICHER F LUGHAFEN IST GESCHLOSSEN WORDEN .
    Der düstere Funkspruch General Trabers erreichte Wargrave nur fünfzehn Minuten vor der Abfahrt mit Marenkow zum Mailänder Hauptbahnhof. Sie befanden sich noch in dem seltsamen, über zwei Stockwerke gehenden Raum mit dem halbmondförmigen Fenster, den sie bei der Ankunft im geheimen Quartier Oberst Molinaris zum erstenmal gesehen hatten. Wargrave zeigte Julian Haller den Funkspruch. Der Amerikaner las ihn und schürzte die Lippen – ein seltenes Zeichen, daß er unter Streß stand.
    »Das bedeutet, daß wir die lange Reise machen müssen«, bemerkte der Engländer. »Den ganzen Weg quer durch Europa nach Holland, da Schiphol der einzige noch offene Flughafen ist. Was dem KGB mehr

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