Lawinenexpreß
Uniform.
»So ging es am schnellsten. Los, an die Arbeit jetzt…«
Die dunkelhaarige Luisa hatte ein ausgeprägtes Kinn, scharfe Augen und ein herrisches Auftreten. Sie drängte die drei Männer zur Eile und blickte dann auf die Uhr. Es war 18 Uhr 50. In vier Minuten würde der Atlantik-Expreß Lugano erreichen. Zufrieden, daß sie den Zeitplan einhielt, ging sie zurück zu dem Loch im Zaun.
Sechs Minuten später trugen alle drei Männer die Uniformen der toten Schweizer Soldaten. Zwei der Uniformen saßen schlecht, aber das war ein Detail, das man nur im Licht und aus der Nähe bemerken würde. Keiner der drei Männer in dem Armeefahrzeug, das sie jetzt durchs Tor fuhren – das sie mit einem im Wachraum hängenden Schlüssel geöffnet hatten –, hatte die Absicht, sich aus der Nähe betrachten zu lassen. Das Fahrzeug, das sie aus einem der Schuppen geholt hatten, war ein Jeep mit einem auf der Ladefläche montierten Maschinengewehr. Das MG war auf einer drehbaren Lafette befestigt, so daß sie aus jedem Winkel würden schießen können.
Der Mercedes hatte den mit nur drei Soldaten bemannten Armeeposten – was die Angreifer schon lange vor ihrer Ankunft gewußt hatten – bereits verlassen. Luisa saß am Steuer und fuhr mit hoher Geschwindigkeit nach Norden; rechts von der Straße verlief der Schienenstrang, auf dem der Atlantik-Expreß nach Bellinzona rollen würde. In der Ferne erkannte sie die Umrisse des Bahnwärterhäuschens von Vira. Sie trat heftig auf die Bremse, und der Wagen hielt mit quietschenden Reifen an; dann schaltete sie die Scheinwerfer aus und ein, aus und ein, aus und ein…
Im Bahnwärterhäuschen sah Emilio Valenti, ein kleiner Mann mit einem Froschgesicht, der in den letzten zehn Minuten wiederholt in südlicher Richtung auf die Landstraße gestarrt hatte, das Aufblinken der Scheinwerfer. Er ging zu seinem Kollegen hinüber, der vor den Kontrollschaltern stand. Bahnwärter Carli widmete seine volle Aufmerksamkeit den Instrumenten; der Atlantik-Expreß würde gleich seinen Streckenabschnitt passieren. »Zigarette?« schlug Emilio vor. Sein Kollege schüttelte den Kopf; in dem Aschenbecher neben ihm brannte noch eine, was Emilio bereits bemerkt hatte. Emilio holte tief Luft, hob den schweren Schraubenschlüssel, den er in der Hand hielt, und ließ ihn mit voller Wucht auf Carlis Schädel niedersausen. Carli war auf der Stelle tot. Er rutschte langsam zu Boden, als Emilio einen Knopf auf der Instrumententafel drückte. An dem nach Norden führenden Gleis schaltete ein Signal von Grün auf Rot.
Emilio griff seinen Mantel und zog ihn über, während er das Bahnwärterhäuschen verließ und die Treppenstufen hinuntereilte. Er keuchte und rannte wie ein Kaninchen über die Gleise und dann die Böschung hinunter, als auch schon der Mercedes ankam. Luisa trat auf die Bremse, und der Wagen kam mit kreischenden Bremsen zum Stehen. »Nicht die Vordertür – steigen Sie hinten ein…« Sie fuhr schon wieder an, bevor er die Tür hatte zuschlagen können.
»Ich glaube, ich habe ihn umgebracht…«, begann Emilio nervös.
»Halten Sie den Mund, Sie Waschlappen. Ich habe eine Aufgabe zu erledigen…«
Sie konnte im Rückspiegel die Scheinwerfer des Jeeps sehen, der jetzt die Geschwindigkeit verlangsamte. Und einen halben Kilometer hinter ihr sahen die drei Männer im Jeep, der jetzt am Straßenrand hielt, die Lichter des heranrasenden Atlantik-Expreß.
»Vergiß nicht, Marco, der letzte Schlafwagen«, erinnerte der Mann am Steuer seinen Begleiter. »Wir wissen, daß er sich in dem Waggon aufhält.«
»Glaubst du etwa, ich verstünde meinen Job nicht?« schnauzte Marco. »Du besorgst das Fahren – ich erledige dies.« Er umfaßte das schwere Maschinengewehr mit einem festeren Griff, als der Fahrer den Motor anließ.
»Warum bist du so nervös?« fragte Haller. »Sie haben doch diese drei Ganoven in Lugano aus dem Zug geholt. Sie werden später natürlich noch etwas anderes versuchen…«
»Ich habe einfach nur dieses merkwürdige Gefühl«, beharrte Elsa. »Nenne es eine Vorahnung oder was auch immer – ich habe das verdammte Gefühl, daß bald etwas Scheußliches passieren wird…«
Der Expreß hatte Lugano verlassen und beschleunigte jetzt, als er sich der Hochebene hinter der Stadt näherte, die der Zug vor der langen Abfahrt nach Bellinzona passieren mußte, wo der Schienenstrang eng an den aufragenden Bergwänden entlangführt. Im Abteil saß Haller neben Elsa, während
Weitere Kostenlose Bücher