Lazyboy
weißen Flecken oberhalb der Hufe.
»Also, die eine Möglichkeit ist, dass du mir hier auf der Stelle einen Heiratsantrag machst und wir uns also quasi auf der Stelle verloben und meinen Eltern das auch heute noch verkünden mit anschließender Feier in nicht allzu baldiger Ferne und Hochzeitsplanung und Pipapo, auch über Kinder sollten wir in der Folge reden, Verhütung sein lassen und so weiter.«
»Ja?«
»Und die andere Möglichkeit ist, dass wir uns hier auf der Stelle trennen und auch dieses gleich bei meinen Eltern bekannt geben, dann kannst du dich noch einmal in aller Form von ihnen verabschieden.«
»Oh«, machte ich.
»Es ist quasi ein Ultimatum, wenn du so willst, und ich meine es ernst.«
Ich räusperte mich und sah Monika nun doch an. Sie war sehr bleich und starrte nach vorne. Ihre Hände waren um das Lenkrad geschlossen, die Fingerknöchel leuchteten weißlich.
»Äh ja«, sagte ich.
»Nun?«
»Gibt es irgendwelche Joker, darf ich jemanden anrufen?«
Sie sagte: »Kannst du es bitte ernst nehmen, das ist es nämlich, ernst, es ist mir ernst, ganz oder gar nicht, du verstehst schon.«
»Schon klar.«
»Überlege es dir bitte gründlich. Und, was mir wichtig ist, ich will, dass du es wirklich so meinst, wie du es sagst, ich will, dass du dich wirklich freiwillig entscheidest.«
»Okay«, sagte ich. Freiwillig, alles klar.
Eine gestreckte Minute verging, in der etwas unendlich Zähes sich langsam durch die Wirklichkeit bewegte, wobei schwer zu sagen war, ob von rechts nach links oder von oben nach unten. Etwas Unsichtbares, aber substanziell Gewichtiges riss und zerrte und schob sich lautlos durch die Dimensionen.
Ich sagte: »Ich wähle Antwortmöglichkeit A.«
»Aha, kannst du bitte noch einmal in deinen eigenen Worten sagen, wofür du dich entscheidest?«
»Klar«, sagte ich. »Antwortmöglichkeit A. Verlobung, Hochzeit, Familie gründen.«
»Okay«, sagte sie.
»Ja«, sagte ich.
»Dann sind wir jetzt also verlobt und können es gleich freudig und feierlich meinen Eltern mitteilen. Oder kannst du dich vorher noch zu einem formellen Antrag aufraffen?«
»Später. Nicht hier. Wart’s ab.«
»Auch gut.«
»Ja«, sagte ich.
»Schön«, sagte sie. »Schön, dass wir das geklärt haben.«
Wir sahen einander in die Augen, ohne zu lächeln. Das Pferd jenseits des Gatters wandte sich schnaubend ab.
Später, bei ihren Eltern, saß ich schweigend mit steifen Schultern da, als ihr Vater im Keller verschwand, um eine Flasche von dem teuren Champagner zu holen, mehr aus Pflichtgefühl denn aus Freude, nehme ich an. Niemand am Tisch lächelte, alle trugen verkniffene Gesichter, die von der Farbe her an geplättete Damast-Tischdecken erinnerten. Auch das Beglückwünschen fiel eher steif aus. Aus dem Mund von Monikas Mutter klang es wie Kondolieren. Ich blickte auf meinen Teller herab, auf dem sich zu diesem Zeitpunkt Rote Bete befanden. Rote Bete, rot wie Blut.
11
Ich trete aus einer Art Stall oder Scheune. Ich schließe die weinrote Holztür hinter mir, Stroh unter den Füßen. Ich gehe über einen asphaltierten Hof, der hie und da von Strohhalmen und anderem Dreck bedeckt ist. Ich wende mich zum abseits liegenden Haus hin, rote Schindeln, Fachwerk, eine graue Katze sitzt in einem geöffneten Fenster im Erdgeschoss. Schön hier. Ich klopfe die Innentasche meines Parkas ab, ob ich genug Geld dabeihabe, um nach Hause zu fahren. Vom Hof gelange ich zu einer einspurigen, asphaltierten Straße, links geht es den Hang hinunter, rechts hinauf. Am Straßenrand saftige Grasbüschel mit strahlend blühendem Löwenzahn. Zu beiden Seiten Fachwerkhäuser und grau verputzte Mietsklötze, zweistöckige Wohnkästen mit Garagentüren neben den Eingängen, Geranien vor den Fenstern. Zwischen den Häusern meterbreite Lücken, durch die ich in der Ferne andere Hügel sehen kann. Landstraßen, Baumgruppen, Häuser, Höfe. Traktoren, Kühe und Pferde. Ich fühle mich wie in einem von diesen Ali-Mitgutsch-Wimmelbilderbüchern, mit denen man die Kleinkinder traktiert. Hier möchte ich keine zwei Tage verbringen müssen. Ländliche, süddeutsche Idylle, die einen irgendwie schwindelig macht. Ich entschließe mich, bergabwärts zu gehen, es scheint mir wahrscheinlicher, dass ich in dieser Richtung einen Bahnhof oder etwas Ähnliches finde. Nach einer Weile begegne ich zwei mageren, ein Meter achtzig großen Mädchen mit Zöpfen, die ein gelbliches, schielendes Pferd an mir vorbei hügelaufwärts führen.
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