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Lazyboy

Lazyboy

Titel: Lazyboy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Weins
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Interesse sein, dass man Sie für einen Spinner hält.«
    »Stimmt«, sage ich.
    »Außerdem haben wir selbst so eine Tür im Keller.«
    »Ach Quatsch«, sage ich. »Du willst mich verarschen.«
    »Nee, in echt, die Reisekammer.«
    »Die Reisekammer«, wiederhole ich.
    »Klar, im Keller. Wollen Sie sie sehen? Vielleicht dürfen Sie sie sogar benutzen, wenn Sie ganz lieb sind.«
    »Wirklich?«, frage ich und komme mir unbehaglich vor, wie ein einfältiger Pädophiler, der aus der Klapse ausgebrochen ist. Reisekammer.
    Es führt mich ins Haus. Es erzählt mir dabei von seinem Urgroßvater. Er habe das Haus um die letzte Jahrhundertwende herum gebaut. Er sei Kapitän gewesen. Ab einem gewissen Punkt in seinem Berufsleben, nach zu vielen Reisen, habe er urplötzlich den Anblick des Meeres körperlich nicht mehr vertragen, eine extreme Form von Seekrankheit. An Deck habe er sich ständig übergeben müssen. Schon der Anblick der Wellen von Land aus, auf der Deichkrone stehend, habe ihn schließlich würgen lassen. Beim Anblick von Wasser in größeren Mengen sei er weiß im Gesicht geworden. Darum habe er beschlossen, sich in den Bergen zur Ruhe zu setzen, in maximaler Entfernung zum Meer. Er habe sich also seinen Alterssitz hier am Rand der Schwäbischen Alb errichtet.
    Ein ziemlich mitteilsames Mädchen.
    »Ich kannte mal eine Friseurin«, sage ich, »die hat mit den Jahren eine Haarallergie entwickelt. Immer, wenn sie fortan mit Haaren in Berührung kam, entwickelte sie Ausschlag an den Händen. Selbst beim morgendlichen Kämmen. Hart für sie, aber sie musste den Beruf wechseln.«
    »Das ist natürlich auch Scheiße«, sagt das Mädchen.
    »Und wie«, sage ich. »Sie ist jetzt Dermatologin.«
    »Ich heiße übrigens Daphne.«
    »Schöner Name«, sage ich. »Angenehm, Lazyboy.«
    »Im Ernst?«
    »Mittelernst. Aber stimmt schon, der Name. Willst du meinen Pass sehen?«
    »Nee, lass mal stecken.«
    Sie duzt mich plötzlich, als wäre mein Name eine Aufforderung.
    »Wie alt bist du?«, frage ich.
    »13.«
    »Oha«, sage ich.
    »Und du?«
    »35.«
    »Oha«, sagt sie.
    Sie erzählt, dass sie mit ihrem Onkel im Haus wohne. Ihre Eltern seien beide bei einem Unfall verstorben, ihr Onkel passe seither auf sie auf, allerdings sei er beruflich viel unterwegs, und de facto lebe sie alleine hier, was schon okay sei, sie genieße die Freiheit. Sie käme gut alleine zurecht, sie sei seit frühester Kindheit sehr selbstständig und bekäme das alles so weit sehr gut hin, Schule, Alltag usw.
    Entweder ein besonders mitteilsames oder ein außergewöhnlich einsames Mädchen.
    Nur das Jugendamt dürfe davon nicht zu viel mitbekommen, die schauten hier manchmal vorbei.
    »Du bist nicht zufällig vom Jugendamt, oder?«, fragt sie. »Dann wäre ich jetzt nämlich ziemlich unvorsichtig gewesen.«
    »Ziemlich«, sage ich, »nein, ich kann dich beruhigen.«
    Das Haus ist mit schweren Möbeln vollgestellt, eine muffige, dunkle, fremde, alte Welt. Afrikanische Masken hängen über umfangreichen Kommoden, Speere neben angegilbten Götzendarstellungen. Federn, Kisten, Gemälde von Seeschlachten. Ein ausgestopfter Affe starrt von einem riesigen Schrank auf mich herab.
    Sie führt mich eine steinerne Kellertreppe hinunter. Wir kommen in einen Vorraum, von dem vier Türen abgehen, drei gleichen einander, solide, weiß lackierte Bretter, aber eine Tür ist anders, aus einem massiven, schwarzblau glänzenden Stück Holz gefertigt, mit einem kleinen Knauf aus türkisfarbenem Glas in der Mitte. Eine nackte Glühbirne hängt unter der Decke. Ich hätte auch ohne Hinweis gewusst, um welche Tür es geht.
    »Das ist sie«, sagt sie und rollt mit den Augen.
    »Wow«, sage ich. »Darf ich sie öffnen? Darf ich sie ausprobieren?«
    Sie sagt: »Am besten führe ich sie dir einmal vor. Dann könnt ihr euch aneinander gewöhnen. Die Tür sollte dich erst einmal kennenlernen.«
    »Okay«, sage ich. »Wohin führt sie denn gewöhnlich?«
    Sie scheint das wirklich ernst zu meinen.
    »Das ist immer anders. Ich trete durch die Tür und bin verschwunden. Ich komme irgendwo an. Und der Witz ist ja, dass ich selbst keine Ahnung habe, was sich wirklich hinter dieser Tür verbirgt, ob dort wirklich ein weiterer Kellerraum liegt und wie er aussieht. Ich gehe durch die Tür und denke an den Ort, an dem ich sein will. Dort komme ich an, durch eine Tür trete ich ein.«
    »Das ist wie bei mir«, sage ich. »Kannst du es kontrollieren?«
    »Wie?«
    »Kommst du tatsächlich immer

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