Lazyboy
die schicken Sie einfach wieder nach Hause. Was glauben Sie denn? Es wäre viel zu teuer, wenn auf jeden, der Lust auf geschlossene Unterbringung bekommt, ein gemachtes Bett wartete.«
»Hm«, mache ich.
Nach der Sitzung bei Frau Merbold steige ich in ein Taxi. Ich lasse mich zur psychiatrischen Station des Universitätskrankenhauses chauffieren. Irgendwie ist ein schales Gefühl übrig geblieben, diese ganze Annehmen-Sache befriedigt mich überhaupt nicht. Ich wünsche mir eine Art psychologisches Skalpell, mit dem ein echter Fachmann kurz einmal in meinem Gehirn herumschweift, schnipp, und schon ist wieder alles in Ordnung.
Im Flur der psychiatrischen Aufnahme muss ich fast anderthalb Stunden warten, ehe sich mir jemand zuwendet. Ich gucke währenddessen zwei Männern in Jogginghosen zu, die miteinander Tischtennis spielen. Beide bewegen sich extrem verlangsamt. Sie sind die meiste Zeit mit Ballaufheben beschäftigt. Einer schlägt den Ball, der andere hebt ihn auf. Sie haben unbewegte Mienen, keine Spuren von Mimik zu erkennen. Im Krankenhaus scheint sich Spaß anders zu definieren als in meiner Welt.
Endlich ruft mich eine Ärztin zu sich in ein winziges Behandlungszimmer. Sie sieht sehr jung aus. Ich erzähle ihr, warum ich gekommen bin, dass mich Türen verschlucken und an fremden Orten ausspucken, ich finde, das klingt verrückt genug, um einen monatelangen Aufenthalt an der Tischtennisplatte zu rechtfertigen. Ich erzähle ihr, dass ich gerade ein Mädchen in der Schwäbischen Alb kennengelernt habe, das ebenfalls mit Türen reisen kann, aber irgendwie besser als ich. Sie stellt mir eine Menge Fragen, aber sie kommt nicht zum Punkt, finde ich. Sie fragt mich, ob ich Stimmen höre, die ich nicht mit einer sichtbaren Person in Zusammenhang bringen kann, die mir Befehle geben oder mein Handeln kommentieren. Sie fragt mich, ob ich in letzter Zeit über die Türen hinaus ungewöhnliche Beobachtungen mache, die ich bislang in meinem Leben so nicht gekannt habe. Sie fragt mich, ob den Personen in meiner Umgebung solche Sachen oder andere markante Veränderungen an mir aufgefallen seien. Sie fragt mich, ob ich mich mit dem Gedanken beschäftige, mir etwas anzutun oder gar aus dem Leben zu scheiden.
»Nein, nein, nein, nein«, sage ich wahrheitsgemäß, »da ist nur die Sache mit den Türen. Ich bin eindeutig verrückt, Sie müssen mich aufnehmen, Sie können mich nicht laufen lassen, ich bin eine Gefährdung für die Allgemeinheit.«
»Den Eindruck habe ich ja nun nicht«, sagt die Ärztin mit einer sehr sanften Stimme. »Sie zeigen ganz deutlich Zeichen von Krankheitseinsicht, Sie können sich deutlich von Ihrem wahnhaften Erleben distanzieren, und wenn ich Sie richtig verstehe, haben Sie auch nicht vor, sich oder anderen etwas anzutun.«
Ich schweige grimmig.
»Ich kann Ihnen lediglich anbieten, Sie an einen niedergelassenen Nervenarzt zu überweisen, damit Sie es mit einer Medikation versuchen. Oder Sie begeben sich in eine ambulante Psychotherapie, das könnte auch den Versuch wert sein. Hatten Sie außergewöhnlich viel Stress in letzter Zeit?«
»Es geht so«, nuschle ich, »danke«, und stecke den Überweisungsschein ein, den sie mir hinhält. Anschließend werde ich wieder in die Freiheit entlassen, finde mich in der Zufallsgesellschaft eines Krankenpflegers in einem Fahrstuhl wieder. Der Fahrstuhl ist riesig, der Krankenpfleger klein und höchstens achtzehn. Er balanciert einen dünnen Schnurrbart auf der Oberlippe und hält einen Stoffelefanten im Arm.
Kurz spiele ich mit der Vorstellung, ein kapitales Verbrechen zu begehen, blutbespritzte Fahrstuhlwände, die beim Gefängnis stellen sich sicherlich nicht so zimperlich an.
Kaum auf der Straße, wähle ich eine Nummer, die ich schon ewig nicht mehr gewählt habe. Die ich eigentlich nie wieder hatte wählen wollen. Aber wie das so ist, besondere Zeiten verlangen besondere Entscheidungen. Warum soll ich an mich glauben, warum soll ich mich ernst nehmen, wenn mich sonst keiner ernst nimmt?
»Hallo Dirk«, sage ich. »Kann ich vorbeikommen?«
»Erzähl«, sagt Dirk, überhaupt nicht überrascht, meine Stimme zu hören. Wahrscheinlich war ihm die letzten zwei Jahre lang nicht nur klar, dass ich mich wieder melde, sondern auch wann.
Ich sage: »Ich soll dich herzlich von Bettina grüßen.«
»Alles klar. Kannst vorbeikommen.«
»Wann?«
»Komm vorbei«, sagt er. »Alte Adresse.«
Dirk wohnt in Langenhorn. Da wird wohl wieder ein Taxi fällig. Fast
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