Lazyboy
es ja wissen, Papa.«
Ich lächele vor mich hin, weil mir der Gedanke gefällt, die anderen Gäste im Café könnten denken, sie sei meine schnippische Tochter und ich ihr verantwortungsloser Vater, der mit ihr Kaffee trinken geht, anstatt sie Hausaufgaben machen zu lassen. Dass die Leute denken könnten, ich hätte schon so etwas Gutes in meinem Leben zustande gebracht.
»Warum glaubst du mir eigentlich noch mal?«, frage ich.
»Wie?«
»Na, die ganze Geschichte mit den Türen, ich könnte ja auch verrückt sein oder mich wichtigmachen.«
»Es ist eine Entscheidung.«
»Was für eine? Das verstehe ich nicht.«
»Ich finde es eben besser, so etwas für möglich zu halten. Die Welt ist sonst zu eng. Ich will es glauben, also glaube ich es. Das funktioniert erstaunlich gut. Es ist eine gute Geschichte, wie in den Büchern.«
Ich sehe sie mir eine Weile an, ein Mädchen mit Pferdeschwanz. Ich sehe mir ihren Rucksack an, den Block, den Bleistift. Ich sehe mir das Café an, die Gäste. Ich blicke durch die Scheibe, vor dem Fenster parkt ein Alfa Romeo. Ich sehe mir die Bedienung an, die lachend ihren Kopf in den Nacken wirft.
»Okay«, sage ich, »das verstehe ich.«
»Und warum betrachtest du es dann als Problem, dass du durch die Türen verschwindest, und nicht als Fähigkeit, als Glücksfall?«
Sie blickt mich scharf an.
»Weil ich es nicht kontrollieren kann. Weil ich den Schlüssel dazu nicht in der Hand halte. Weil ich mich hilflos fühle. Weil ich immer zu spät komme. Weil ich Menschen enttäusche. Ich bin so, aber so will ich nicht sein.«
»Dann müssen wir das ändern«, sagt sie. »Aber nicht mehr heute, beim nächsten Mal.«
Wie kann man mit 13 Jahren schon so abgeklärt und klug sein?
»Wann erzählst du mir eigentlich das ganze Geheimnis deines Lebens?«, frage ich beim Weg zur Cafétür, nachdem ich mich am Tresen persönlich bei der Bedienung verabschiedet und bedankt habe. Sie ist nicht an unseren Tisch gekommen. Nach fast einer Stunde Aufenthalt, das ist persönlicher Rekord. Ich gehe übrigens davon aus, dass eine clevere Einstellungspolitik des Café-Betreibers dahintersteckt, der weiß, dass Leute wie ich gerne schlecht behandelt werden, dass man den verborgenen Masochisten kitzeln muss. Die Bedienung hat nichts gesagt und bloß wortlos über unsere Köpfe hinweggeguckt.
»Das nächste Mal«, sagt Daphne mit generöser Miene. »Beim nächsten Treffen unserer kleinen Arbeitsgruppe.«
»Kommst du wieder her, oder muss ich mal die richtige Tür erwischen?«
»Ich komm vorbei, scheint mir einfacher. Außerdem kannst du mir dann die Stadt zeigen.«
Sie hält die Tür in der Hand und schaut mich mit einem melancholischen Mädchenblick an. In mir wird es kurz still und traurig. Dann macht sie den Schritt durch die Tür und löst sich in Luft auf.
15
»Ich möchte heute wie abgesprochen ein Verhaltensexperiment mit Ihnen machen«, sagt Frau Merbold.
Es ist ein windiger Tag, der Wind drückt ihr geblümtes Kleid gegen ihren Körper, jeder Passant kann sehen, dass sie nicht mehr Nahrung zu sich nimmt, als unbedingt nötig ist. Ihre Hände und Füße und Handgelenke wirken mitleiderregend groß im Wind, wie ruppige Ölbohrplattformen im windumtosten, einsamen Herzen der Nordsee. Sie hat mein ganzes Mitgefühl. Ihre Locken werden durch die halbe Stadt geweht, und ihre großen dunkelblauen Augen ruhen traurig auf mir.
Wir haben uns in der Fußgängerzone verabredet, unweit des Bahnhofs. Ich weiß, dass Therapeuten manchmal so etwas machen, das hat sie mir beim letzten Mal erklärt. Expeditionsbehandlung oder so. Links und rechts von uns ragen die Fassaden uralter Kontorgebäude neun Stockwerke hoch in den Himmel. Der Himmel ein alter, schmaler Schlauch hoch droben, aus dem man lichten Wein saugen könnte, wäre man nur groß genug.
»Ich möchte mir selbst ein Bild machen«, sagt sie. »Sie haben mich gefragt, ob ich Ihnen glaube, und was ich auch sage, Sie werden immer das Gefühl haben, dass ich mich um eine klare Antwort herumdrücke, dass Sie alleine mit dem Erlebnis bleiben. Deshalb sind wir hier. Ich schlage vor, dass wir uns einfach so durch die Stadt bewegen und dabei gemeinsam durch so viele Türen wie möglich gehen, Zeit spielt keine Rolle, wir lassen uns treiben, bis die erste Tür nach Ihnen zuschlägt. Mal sehen, was dann passiert.«
»Okay«, sage ich wenig überzeugt. »Aber was ist, wenn die Tür bei mir eine Passage darstellt, Sie aber bloß durch eine ganz normale
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