Lazyboy
Tür gehen und anschließend, was weiß ich, bei Karstadt vorm Lippenstiftregal stehen?«
»Dann gucke ich mir Lippenstifte an. Es gibt Schlimmeres. Und wir treffen uns morgen wie verabredet wieder. Außerdem ...«
Sie greift nach meiner Hand. »Vielleicht können Sie mich mitnehmen. Ich lasse Sie jedenfalls nicht so einfach los.« Sie legt unsere Handgelenke auf ihr angewinkeltes Knie und bindet ein grünes Seidenband mit einer Schleife drum herum.
Ich muss grinsen.
»Okay?«, fragt sie. »Sind Sie bereit?«
Ich nicke. »Dann los«, sagt sie.
Ich komme mir vor wie beim Wandertag in der Grundschule. Immer in Zweierreihen, und ich gehöre zu den ganz Verwegenen oder hoffnungslos Verliebten, die ein Mädchen an der Hand halten. Frau Merbolds Handfläche fühlt sich feucht an, ein zarter Feuchtigkeitsfilm, wie ein kleines Geheimnis, aber es ist überhaupt nicht unangenehm. Ich stelle mir vor, wie ich zu Hause meine Hand trockne und das Salz auf ein Blatt Papier abschabe und anschließend in ein Fläschchen fülle, das ich in Schreibschrift etikettiere: Merbold-Salz. Und an ganz besonderen Tagen salze ich mein Frühstücksei damit.
Es ist ein normaler Vormittag in der Woche, und ich muss mich doch sehr wundern, wie viele Leute durch die Innenstadt bummeln. Hand in Hand betreten wir die Filiale der Sparkasse, nichts Ungewöhnliches so weit, wir schlurfen ein wenig durch den Innenraum unter dem Sirren von Neonröhren, Frau Merbold steckt mit der freien Rechten ein Überweisungsformular ein. Wir wenden uns wieder nach draußen, keine ungekannten Sensationen, um mich herum Fußgängerzone, neben mir Frau Merbold. Wir betreten die Filiale eines großen Buch-Supermarktes. Das bringt Spaß, finde ich. Frau Merbolds Hand ist warm geworden, ich kann spüren, wie die Wärme aus ihrer Hand in meine hinüberfließt, wie sie meinen Arm hinaufkriecht. Beim Gehen reibt ihre Hüfte gelegentlich an meiner. Ich habe ihren Geruch in der Nase, der leise Hauch eines schweren, eher männlich herben Parfüms, und darunter die Idee von Schweiß, überhaupt nicht unangenehm, eher im Gegenteil. Eine subtile Schweißnote. Ich stelle mir ein feines Schweißbad vor, in dem römische Kaiser einst badeten. Für eine Wannenfüllung mussten 200 für ihren süßen und aromatischen Schweiß bekannte Sklavinnen schwitzen. Meine rechte Körperseite kribbelt. Ich stelle fest, dass es zweifelsfrei intim ist, Hand in Hand mit einem fremden Menschen herumzulaufen, auch oder gerade wenn es sich dabei um die Psychotherapeutin handelt. Ich kann es nicht vermeiden, dass sich unangebrachte Gedanken in meine Hirnwindungen schmiegen. Ich drücke ihre Hand fester.
Wieder passieren wir eine Tür, aber die einzige außergewöhnliche Sensation ist jetzt in meiner Körpermitte festzustellen, glücklicherweise sieht man mir nichts an. Frau Merbold hat mich irgendetwas gefragt, ich habe es nicht richtig mitbekommen. Wir betreten ein großes Textil-Kaufhaus, die warme Luft am Eingang fönt mir die Haare, Frau Merbold weicht nicht von meiner Seite. Ich denke an Umkleidekabinen.
Dann steht sie plötzlich vor mir. Monika. Ich lasse Frau Merbolds Hand los, unsere Hände baumeln lose nebeneinander, durch ein Seidenband verbunden. Monika ist sprachlos. Wir befinden uns in einem Schuhgeschäft, Monika steht vor einem hüfthohen Regal, sie hält einen sehr hübschen Schuh mit Riemchen und Absatz in den Händen, der ihr bestimmt besonders gut stehen würde. Sie starrt erst mich, dann Frau Merbold an.
»Hallo«, sage ich mit belegter Stimme.
»Das ist eine Bekannte«, sage ich, »Monika, aber es ist nicht, was du denkst.«
Frau Merbold schaut mich mit zusammengekniffenen Augen von der Seite an. Monikas Mund steht offen.
»Mein Name ist Merbold«, sagt Frau Merbold und streckt Monika die ungebundene Hand hin. »Ich bin die Psychotherapeutin von Herrn – äh, Lazyboy, wir machen heute eine Expositionsübung.«
Monika sieht aus, als wäre sie kurzfristig in eine Saftpresse geraten.
»Wie?«, sagt sie.
»Äh ja«, sage ich und kratze mich am Kopf. Ich sage: »Minka.«
Sie stellt den Schuh energisch zurück ins Regal.
»Also, das ist mir jetzt echt zu doof.« Sie schaut vom einen zur anderen, dann verlässt sie entschlossen das Geschäft.
»Monika«, rufe ich läppisch hinter ihr her. »Mo! Minka!«
Ich weiß, dass es Geduld und Geschick benötigen wird, diese Sache zurechtzulügen. Ich erwäge, kurzerhand den Schuh für sie zu erwerben. Nur bin ich nicht sicher, ob sie
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