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Lazyboy

Lazyboy

Titel: Lazyboy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Weins
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Zeitsprung, oder was?«
    »Quatsch«, sagt sie. »Komm, husch, durch die Tür.«
    Daphne greift nach der Tür.
    »Warte«, sage ich, »hast du vielleicht etwas Warmes zum Anziehen?«
    Ich trage einen zu großen Wildledermantel von Daphnes Onkel, als ich mich in dem Zimmer umsehe, darunter einen ebenfalls zu großen Wollpulli, die Ärmel habe ich umgekrempelt. Ich konnte keine Geräusche hören, also bin ich aus dem Schrank geklettert. Ich befinde mich in einem kleinen Haus, einem Häuschen, und ich bin alleine, so weit ich das feststellen kann. Im oberen Stockwerk gibt es zwei kleine Zimmer, das Schlafzimmer mit dem Schrank und ein noch kleineres Zimmer mit Bücherregalen und einem Sofa darin. Eine äußerst steile Treppe führt in das Erdgeschoss hinab. Schritt für Schritt taste ich mich so leise wie möglich die Treppe hinunter. Unten erwartet mich eine offene Küche und ein einigermaßen geräumiges Wohnzimmer, ebenfalls mit Holzfußboden. Der Blick aus dem rückwärtigen Fenster: verschneite Wiese, links und rechts von Backsteinhäuschen begrenzt. Auf der kleinen Terrasse Vogelspuren.
    In der Küche gibt es einen Gasofen und einen altertümlichen Schrank, der mich an das Amerika der 50er-Jahre erinnert. Ich sehe keinerlei elektrische Geräte, nicht auf den Arbeitsflächen, ich finde auch keine in den Hängeschränken. Ich sehe keine Steckdosenleisten. Ich erwäge erneut die Zeitsprunghypothese. In welchem Haus, bitte schön, mitten in der Kleinstadt gibt es heute keinen elektrischen Strom? Da muss man es schon mit einer äußerst nostalgischen oder überspannten Person zu tun haben, oder mit einer ausgesprochen armen. Oder hier lebt jemand mit einem extrem ausgeprägten Stilbewusstsein, alles Elektrische ganz besonders gewitzt versteckt, ultramodernes Design.
    Beide Außentüren sind verschlossen, die nach vorne auf die Straße, auch die rückwärtige auf die winzige, eingeschneite Terrasse. Ich blicke mich noch einmal um, sehe mir die Zierkürbisse auf einem Bord an, die Clownsfigur, die mit einer aufgeschminkten Träne auf der Wange in sich zusammengesackt in einem Korbstuhl sitzt. Alles ganz schön so weit, aber ich will mehr sehen. Ich bin nicht durch Daphnes Tür gegangen, um weiblichen Kitsch zu bewundern. Wo ist das Geheimnis? Wo ist meine Lösung? Ich öffne das Küchenfenster und klettere über die Anrichte, springe in den Schnee. Das Fenster lehne ich hinter mir an. Die Straße ist glücklicherweise menschenleer.
    Auch in den anliegenden Straßen stehen keine Autos, kein Verkehrslärm ist zu hören. Es ist sonderbar still, so still, dass man meint, den Schneeflocken beim Fallen zuhören zu können, ein äußerst irritierendes, unangenehmes Geräusch.
    Der erste Mensch, dem ich begegne, ist ein Mann um die 50 mit einem Hut auf dem Kopf, derben Stiefeln an den Füßen. Auch er sieht aus wie aus der Zeit geschnitten. Vielleicht bin ich in ein DDR-Museum geraten, denke ich. Oder Drittes Reich, obwohl, es wehen keine Hakenkreuzfahnen. Es gibt doch diese Museumsdörfer, wo die Leute für authentisches Herumhängen Gehälter beziehen. So ein Job wäre eigentlich wie für mich gemacht. Auf die 20er-Jahre hätte ich Lust, Charleston, Pomade, Kokain. Der Mann bleibt stehen und glotzt mich an, sein Mund klappt auf. Eine etwas übertriebene Reaktion, scheint mir. Gut, der Mantel ist etwas zu groß. Der Mann steht sechs Meter vor mir und macht runde Augen. Er blinzelt, seine Finger bewegen sich, er öffnet und schließt die Fäuste, ansonsten ist er offensichtlich erstarrt. Ich sage: »Guten Tag.« Ich meine mich zu erinnern, dass man das in einer Kleinstadt voneinander erwartet. Er bleibt stumm und blickt mir staunend zu, wie ich mich auf dem Gehweg an ihm vorbeidränge. Unheimlich, finde ich. Er blickt mir mit offenem Mund nach, stelle ich fest, als ich mich umzudrehen wage. Vielleicht sollte ich doch einfach wieder umkehren in den Schrank? Als Nächstes treffe ich eine Frau in Jeans, das ist doch mal zeitgemäß. Sie scheint Mitte, Ende 30 zu sein, derselbe Effekt. Auch sie erstarrt und glotzt mich stumm an. Eine hübsche Frau. Wallend rote Haare. Ich hätte mich gerne mit ihr unterhalten. In dieser Stadt aber habe ich offensichtlich die Fähigkeit, die Passanten in Wachsfiguren zu verwandeln. Irgendwie beherrsche ich den sozialen Code nicht. Was ist das hier? Irgendein verspielt muslimisches Land mit sehr strengen Regeln, in dem die Einwohner bloß zufällig deutsch aussehen? Ich probiere auf Verdacht zwei

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