Lea
Krompholz und tauschte die zweite gegen die dritte Geige. Viel habe sie nicht gesagt, berichtete Katharina Walther. Zerknirscht? Nein, so habe Lea eigentlich nicht gewirkt, sagte sie; eher verstört. Sie zögerte. ›Über sich selbst‹, fügte sie dann hinzu.
Wenige Tage danach brach das Ekzem aus und bescherte uns die schlimmsten drei Wochen seit Céciles Tod. Es begann damit, daß Leas Fingerkuppen heiß wurden. Alle paar Minuten ging sie ins Bad und hielt sie unter das kalte Wasser, und in der Nacht tat ich kein Auge zu, weil ich ständig das Wasser laufen hörte. Am Morgen saß sie bei mir auf dem Bettrand und zeigte mit weit aufgerissenen Augen auf die Haut, die sich zu verfärben und zu verhärten begann. Sie blieb zu Hause, und ich sagte meine Teilnahme an einer Konferenz ab. Stundenlang telefonierte ich früheren Studienkollegen hinterher, die Ärzte geworden waren, bis ich schließlich einen Termin bei einem bekam, der sich auf Haut verstand. Er betrachtete und betastete die Haut, die von Stunde zu Stunde gräulicher wurde und nun auch zu jucken begann. Ein Ekzem, hervorgerufen durch eine Allergie. Geige? Dann könne es das Kolophonium sein, sagte er. Mir fuhr ein Schrecken in die Glieder, als hätte er mir eine Krebsdiagnose gestellt. Lea liebte das schwarzbraune Harz, mit dem man den Bogen bestreicht und das golden schimmert, wenn man es gegen das Licht hält. Am Anfang hatte sie sogar heimlich daran geleckt. War das das Ende? Geigerin mit Kolophonium-Allergie? War das nicht eine Unmöglichkeit?
Mit einem Fanatismus, an den ich ungern zurückdenke, studierte ich die Literatur über Allergien und erfuhr, wie wenig man weiß. Berge von Salben türmten sich im Bad. Mein tägliches Telefonieren mit dem Arzt rief bei den Helferinnen Spott hervor, ich erkannte ihn am unvorsichtigen Kichern. Die Apothekerin hob erstaunt die Brauen, wenn ich zum dritten Mal am selben Tag erschien. Als sie von Streß sprach, von Psychosomatik und Homöopathie, wechselte ich die Apotheke. Ich glaube an Zellen, Mechanismen, Chemie, nicht an feinsinnige Märchen, die mit wissendem Ausdruck vorgetragen werden.
Mit unbarmherziger Akribie zwang ich Lea, sich an alles zu erinnern, womit sie in den vergangenen Tagen in Berührung gekommen war, besonders an alles Ungewohnte. Auch mit der Nase sollte sie sich erinnern. Es gab Tränen ob meiner Unnachgiebigkeit des Forschens.
Und dann hatte sie es plötzlich: Die Bänke im Klassenzimmer rochen anders als sonst. Wir fuhren hin, sprachen mit dem Hausmeister. Und tatsächlich: Er hatte ein neues Reinigungsmittel benutzt. Ich nahm eine Probe mit, und der Arzt machte einen Allergietest. Es war dieses Mittel, nicht das Kolophonium. Ich notierte die Zusammensetzung und klebte den Zettel an den Kühlschrank. Er hing dort, bis er gelb wurde.
Ich wollte die erlösende Nachricht feiern, und wir gingen fein essen. Aber Lea saß zusammengekauert vor dem Teller und rieb die rauhen, gefühllosen Fingerkuppen am Tischtuch. Noch jetzt meine ich das leise scheuernde Geräusch zu hören.
Eine Woche lang war es für sie, als trüge sie Handschuhe aus Sandpapier. Mehrmals am Tage griff sie zur Geige, aber es war hoffnungslos. Dann begann die Hautkruste aufzuplatzen, und darunter kam die neue Haut zum Vorschein, unter der es rot pulsierte und die noch keinerlei Berührung vertrug. Als die kranke Haut schließlich abfiel wie eine Kollektion zerborstener Fingerhüte, lief Lea durch die Wohnung, besänftigte die empfindlichen Kuppen durch Blasen und probierte jede Stunde aus, ob sie jetzt die Berührung mit einer Saite vertrügen. Tagelang lebten wir, so will es mir heute scheinen, wie in einem Gefängnis, dessen unsichtbare Mauern durch die in alle Ewigkeit vorweggenommene Angst gebildet wurde, so etwas könne jederzeit wieder passieren.
Und noch einen anderen Kerker gab es: Die Stunden mit Marie fielen aus. Mit erstickter Stimme, in der sich Wut und Tränen mischten, erzählte Lea, daß jemand anderes – jemand anderes ! – zu ihren Zeiten – ihren Zeiten! – bei Marie im Musikzimmer war. Als es schließlich soweit war und ich sie bei Marie absetzte, sah ich, daß die Hände mit den unnatürlich roten Kuppen schweißnaß waren und der Hals mit den roten Flecken der Aufregung übersät war.
Ob jemals etwas mit Leas Händen gewesen sei, fragte der Maghrebiner. Die Frage nötigte mir Achtung ab, das kann ich nicht leugnen. Nein, sagte ich. Eine Weile schwieg er, und jetzt war das Geräusch des
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