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Lea

Titel: Lea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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Nachrichten und Fragen zu den Geigen der Familie Guarneri austauschen wollten. Mit brennenden Augen las er den gesamten Austausch.
    »Es war, als tauchte ich in einen heißen, brodelnden Hexenkessel ein«, sagte er. »Dabei war die Sprache der Botschaften kühl und distanziert, es kamen darin seltene, erlesene Wörter vor, das Ganze hatte etwas von einer geheimen Loge, deren Mitglieder in der Wahl der Worte besonderen Regeln folgten, durch die sie sich als Eingeweihte auswiesen.«
    Und da stieß er auf Signor Buio. »Habt ihr schon gehört, daß Sig. Buio seine Guarneris versteigern will?« hieß es da. »Unglaublich, nach all den Jahren. Es müssen mindestens ein Dutzend sein. Auch del Gesùs . Es soll bei ihm zu Hause geschehen, habe ich gehört, und er akzeptiert nur Bargeld. Das Ganze kommt mir vor, als plane er eine Schachpartie gegen den Rest der Welt, vielleicht die letzte Partie seines Lebens.«
    Van Vliet zögerte sich einzuklinken, denn dann hatten sie seine Adresse. Aber es war einfach zu stark.
    Was er erfuhr, war eine Geschichte wie aus einem Märchenbuch. Signor Buio war ein legendärer Mann aus Cremona, dem sie diesen Namen – Herr Dunkel – gegeben hatten, weil er nie anders als schwarz gekleidet erschien: schäbiger schwarzer Anzug, ausgetretene schwarze Schuhe, die wie Hausschuhe aussahen, schwarzes Unterhemd, darüber der weiße, faltige Hals eines Mannes, der zwischen achtzig und neunzig sein mußte. Steinreich und geizig zum Verhungern. Eine Wohnung in einem schäbigen Haus mit feuchten Wänden. Die Geigen, sagte man, bewahre er in Schränken und unter dem Bett auf. Eine filius Andreae war angeblich von den Bettfedern zerdrückt worden.
    Er schlappte durch Cremona mit einer löchrigen Plastiktüte, in der er das billige Gemüse, die Fleischreste und den Fusel nach Hause trug. Weit und breit keine Frau, dem Gerücht nach aber eine Tochter, die er vergötterte, obwohl sie ihn verleugnete. Die Geldscheine trug er, mehrfach gefaltet, in einem winzigen roten Etui bei sich, es gab tausend Hypothesen darüber, warum es rot und nicht schwarz war. Als sich ein Kellner weigerte, einen dieser zerknautschten Geldscheine anzunehmen, kaufte Signor Buio das Café und warf ihn hinaus.
    Er behauptete, mit Caterina Rota, der Frau von Guarneri del Gesù, verwandt zu sein. Und er hatte einen maßlosen Haß auf alle ausländischen Firmen, die mit Geigen aus Cremona handelten. Wenn er erfuhr, daß ein Händler eine Guarneri besaß, kannte sein Haß keine Grenzen mehr, und er träumte davon, jemanden anzuheuern, der sie stahl und nach Hause brachte. Niemand wußte, warum, aber sein besonderer Haß galt den amerikanischen Händlern in Chicago, Boston und New York. Er konnte kein Englisch, aber die Schimpfwörter kannte er alle. Es hatte der Legende nach eine italienische Geigerin gegeben, deren Spiel er über alles liebte und in die er auch sonst vernarrt war. Er erkannte jede Cremoneser Geige an ihrem Klang und hörte, welcher Hände Werk sie war. Deshalb wußte er, daß sie auf einer Guarneri filius Andreae spielte. Es verging kaum ein Tag, an dem er nicht eine Platte von ihr auflegte. Eines Tages erfuhr er, daß sie die Geige bei einem Händler in Boston gekauft hatte. Er zerschlug all ihre Platten mit einer Axt und riß die Fotos von ihr in tausend Stücke. Alle sagten: Er ist verrückt, aber es gibt niemanden auf diesem Planeten, der mehr von Cremoneser Geigen versteht.
    Van Vliet fragte nach Datum und Ort der Versteigerung. Sie sollte in drei Tagen sein und um Mitternacht beginnen. Das Haus hatte keine Nummer, war aber an der blauen Haustür zu erkennen. Daß Sr. Buio nur Bargeld akzeptierte: Hieß das, daß die Leute mit Geldkoffern anreisten? So recht wußte das niemand, aber es mußte wohl so sein.
    Es kam Van Vliet vor, als hätte er eine Droge genommen, die ihn gleichzeitig aufputschte und schrecklich müde machte. Er schloß die Bürotür ab und legte sich auf die Couch. Die Traumfetzen waren vage und erloschen schnell, aber stets ging es irgendwie um den dunklen Mann, der von ihm Geld wollte, das er nicht bei sich hatte. Er hörte das schadenfreudige Kichern des Alten nicht, aber es war da.
    Er wachte auf, als Ruth Adamek an der Tür rüttelte. Sie sah ihn mit einem merkwürdigen Blick an, als er mit verschlafenem Gesicht und zerzaustem Haar öffnete. Wieder fragte sie nach dem Paßwort. Wieder lehnte er ab. Jetzt waren sie nur noch Gegner, und es fehlte nicht viel bis zur Feindschaft. Er löschte das

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