Leadership: Lehren, die mich durchs Leben führten (German Edition)
Libby, der Stabschef von Vizepräsident Cheney, die ungewöhnliche Präsentation erstellt hatte. Und mehrere Jahre danach erzählte mir Condoleeza Rice, dass die Idee, Libby hinzuzuziehen, von Cheney stammte, der den Präsidenten dazu überredet hatte, Libby, einen Juristen, die Dokumentation wie eine anwaltliche Erklärung und nicht wie ein Geheimdienstdossier schreiben zu lassen.
Ein Geheimdienstdossier präsentiert die Beweise und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen. Eine anwaltliche Erklärung handelt von Schuld oder Unschuld. Unser größtes Problem mit Libbys Präsentation war, dass wir nicht mehr nachvollziehen konnten, wie sich Fakten und Behauptungen auf das NIE oder andere nachrichtendienstliche Erkenntnisse bezogen. Der CIA -Chef konnte nicht dahinterstehen, und damit war sie für uns wertlos.
In der Form, in der wir die Präsentation erhalten hatten, konnten wir sie unmöglich verwenden, und für die Überarbeitung blieben uns nur ungefähr vier Tage. Ich bat um eine Verschiebung, aber der Präsident hatte den Termin meiner Rede bereits bekannt gegeben, und die UNO hatte ihn im Kalender eingetragen.
»Okay«, dachte ich, »das kriegen wir hin.« Ich war beunruhigt, aber nicht übermäßig besorgt. Wir mussten ja nicht bei null anfangen. Wir hatten das NIE und das Hintergrundmaterial der CIA . Damit konnten wir arbeiten. Auf der anderen Seite musste unsere Argumentation hieb- und stichfest sein. Wir standen vor einer ähnlichen Situation wie Adlai Stevenson vor seiner UNO -Rede während der Kubakrise 1962 , als er der Welt zweifelsfrei bewies, dass die Sowjets auf Kuba atomwaffenfähige Raketen stationierten.
Mein Stab ging zur CIA und setzte sich dort mit Direktor Tenet, seinem Stellvertreter John McLaughlin und deren Analytikern zusammen. Sie arbeiteten vier Tage und vier Nächte. Jeden Abend stießen Condoleeza Rice, weitere Beamte aus dem Weißen Haus und ich zu der Gruppe. Der Besprechungsraum war brechend voll. Stundenlang gingen wir jedes Detail durch, suchten nach zuverlässigen Beweisen, verwarfen jeden Punkt, der uns zu weit hergeholt erschien oder nicht durch mehrere Quellen belegt war. Einige Punkte, die ich aussortieren musste, kamen vom Vizepräsidenten, der darauf drang, unsere Präsentation wieder stärker an der Libbys auszurichten, indem wir die bereits Monate zuvor verworfene Behauptung hinzufügten, dass der Irak mit dem 11 . September und anderen Terroranschlägen zu tun gehabt habe. Solche Behauptungen waren durch keine nachrichtendienstlichen Erkenntnisse und Einschätzungen gestützt.
Die Präsentation wurde am Abend, bevor ich sie im Sicherheitsrat halten sollte, in unserer Mission in New York fertig gestellt. Mein Stab arbeitete bis tief in die Nacht, und Tenet und McLaughlin standen zu jedem Wort.
Am nächsten Morgen hielt ich im Sicherheitsrat meinen eineinhalbstündigen Vortrag, der live in alle Welt übertragen wurde. George Tenet saß direkt hinter mir. Ich würde meinen Auftritt zwar nicht mit dem Adlai Stevensons 1962 vergleichen wollen, aber für mein Empfinden war er ein Erfolg. Die Außenminister Spaniens und Großbritanniens unterstützten uns, der französische Außenminister stellte sich gegen uns … so wie wir es erwartet hatten. Alles in allem schienen wir unsere Sache überzeugend vertreten zu haben.
Der Krieg begann sechs Wochen später, und am 9 . April nahmen unsere Truppen Bagdad ein. In den ersten Wochen wurden keine Massenvernichtungswaffen gefunden. In den darauf folgenden Wochen durchkämmten Hunderte von Waffeninspekteuren den Irak. Außer vereinzelten Hinweisen auf ehemals vorhandene Arsenale wurden keinerlei einsatzfähige Massenvernichtungswaffen gefunden. Wie die Welt weiß, wurden nie welche gefunden. Es gab keine.
Saddam hatte zwar die Voraussetzungen aufrechterhalten, wieder damit anzufangen, aber er besaß keine existierende Einrichtung zur Produktion von Massenvernichtungswaffen. (Wie vorherzusehen war, kamen Verschwörungstheorien auf, wonach er seine Massenvernichtungswaffen vergraben oder nach Syrien geschafft habe. Diese Theorien entbehrten jeder Grundlage.)
Nehmen wir als Beispiel die mobilen Biowaffenlabors, von denen die CIA berichtet hatte. Irgendwann wurde ein Laster entdeckt und fotografiert, auf den die Beschreibung, die die CIA geliefert hatte, zu passen schien. Präsident Bush behauptete umgehend, die Fotos seien ein Beweis für unsere Anschuldigungen. Doch als der Nachrichtendienst meines State Department sie unter die
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