Leadership: Lehren, die mich durchs Leben führten (German Edition)

Lupe nahm, kam er zu dem Ergebnis, dass der Lastwagen kein Biowaffenlabor sei. Ich teilte diese Meinung. Bei dem fotografierten Laster handelte es sich um ein primitives, offenes und schlecht konstruiertes Fahrzeug. Er hatte nur entfernte Ähnlichkeit mit einer komplexen Anlage zur Produktion biologischer Kampfstoffe. Mehr kam bei der Suche nach Massenvernichtungswaffen im Irak nicht heraus.
    Ich und mein Stab hielten es für völlig ausgeschlossen, dass sich solche Lastwagen für die Herstellung biologischer Kampfstoffe eigneten, doch einen Monat, nachdem wir die Fotos erhalten hatten, veröffentlichte die CIA einen 28 -seitigen Bericht, in dem sie darauf beharrte, dass sie genau dafür konstruiert worden seien.
    Im Verlauf der folgenden Wochen erhielten der Präsident und dann ich von der CIA scheibchenweise Informationen, welche die Glaubwürdigkeit anderer von ihr zuvor als zuverlässig bezeichneter Quellen völlig zerstörten. Ich war fassungslos. Wie war es möglich gewesen, dass wir so weit danebengelegen hatten? Wie hatte unsere vermeintlich stichhaltige Beweisführung so gründlich zunichte gemacht werden können? Worauf hatte sich im NIE das Urteil gestützt, die Iraker hätten Hunderte von Tonnen chemischer Kampfstoffe, »
von denen ein großer Teil im vergangenen Jahr hinzugekommen ist«?
    Im August, vier Monate nach dem Fall Bagdads, ließ die CIA , obwohl ihre Quellen diskreditiert und keine Massenvernichtungswaffen gefunden worden waren, weiterhin offiziell verlauten, sie halte an den ursprünglichen Einschätzungen fest, zu denen sie auf der Grundlage ihrer damaligen Erkenntnisse und Überzeugungen gelangt sei. Die auf Anordnung des Präsidenten eingesetzte Untersuchungskommission unter Vorsitz des ehemaligen Senators Chuck Robb und des Richters Laurence Silberman listete in ihrem Befund detailliert die Fehler der Nachrichtendienste bei ihrer Analyse und Beurteilung auf. Es war eine der schlimmsten Geheimdienstpannen in der Geschichte der Vereinigten Staaten.
    Jeder erinnert sich an meine UN -Präsentation. Sie hatte in den USA und weltweit enormen Einfluss. Sie überzeugte viele Menschen davon, dass wir auf dem richtigen Weg seien. Kongressmitglieder sagten mir, ich hätte sie dazu gebracht, für die Resolution zur Intervention im Irak zugunsten des Präsidenten zu stimmen – obwohl diese Abstimmung drei Monate vor meiner Rede in der UNO stattgefunden hatte. Meine Präsentation wurde zu der Anklage gegen den Irak schlechthin. Wer erinnert sich an eine andere?
    Selten wird erwähnt, dass jeder leitende US -Beamte dieselben Anschuldigungen hätte vorbringen können oder dass viele sie im Fernsehen oder bei anderen öffentlichen Auftritten auch tatsächlich vorgebracht hatten. Wir hatten uns alle von denselben vermeintlichen Beweisen überzeugen lassen. Keiner von uns wusste, dass viele dieser Beweise falsch waren.
    Hätten wir gewusst, dass keine Massenvernichtungswaffen existierten, hätte es keinen Krieg gegeben.
    Da die Anschuldigungen gegen den Irak in so vielen Köpfen mit meiner Rede vor der UNO gleichgesetzt werden, ist sie noch heute regelmäßig Zielscheibe von Attacken im Internet. Haben wir gelogen? Haben wir gewusst, dass die Beweise falsch waren?
    Die Antwort auf diese Fragen lautet nein.
    Es gibt andere Fragen: Warum sind so viele hohe Amtsträger auf so unsichere Quellen hereingefallen? Warum und wie konnte die CIA so gründlich versagen? Haben uns die Analytiker gesagt, was wir ihrer Meinung nach hören wollten? Womöglich waren wir sogar irakischer Desinformation aufgesessen? Falls uns Saddam hatte glauben machen wollen, er besitze Massenvernichtungswaffen, dann war ihm das gelungen.
    Ich habe keine Antwort auf diese Fragen. Leider.
    Meine Fragen enden hier nicht. Ich habe mich selbst immer wieder gefragt: Hätte ich die Schwächen des NIE erkennen müssen? Hätte ich sie aufdecken müssen? Hatte mich mein kritischer Instinkt im Stich gelassen?
    Und dann lese ich Artikel und Bücher ehemaliger CIA -Beamter, in denen diese schildern, wie bestürzt sie über die unbewiesenen Behauptungen in meiner UN -Rede gewesen seien. Wo waren sie Monate zuvor, als man das NIE erstellt, oder im Januar 2003 , als man dieselben Behauptungen in die Rede des Präsidenten zur Lage der Nation hineingeschrieben hatte?
    Ja, ich war verärgert, und ich bin es noch immer. Und ja, ich wünschte, es gäbe nicht so viele unbeantwortete Fragen. Und ja, ich werde wütend, wenn Blogger mir vorwerfen, ich hätte