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Leadership: Lehren, die mich durchs Leben führten (German Edition)

Leadership: Lehren, die mich durchs Leben führten (German Edition)

Titel: Leadership: Lehren, die mich durchs Leben führten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Powell
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weiß?«
    Die Mitarbeiter verständigten unsere hauseigenen Europa- und Afrika-Experten, die wenig später in mein Büro stürmten. »Mr. Secretary, Folgendes ist im Gang: 200 Meter vor der marokkanischen Küste liegt eine Insel namens Perejil – das ist das spanische Wort für Petersilie. Perejil gehört zu Spanien, und das seit 400 Jahren. Marokko bestreitet das ebenso wie Spaniens Besitzansprüche auf zwei weitere Enklaven an der marokkanischen Küste namens Ceuta und Melilla.«
    »Nie davon gehört«, erwiderte ich. »Ich dachte, ich kenne den Mittelmeerraum.«
    »Nun ja, Sir, das sind winzige Felsinseln, ungefähr so groß wie ein Football-Feld. Dort wächst nichts außer Petersilie, und die einzigen Bewohner sind wilde Ziegen. Manchmal übernachten dort Sonnenhungrige und Drogenschmuggler.«
    »Ja, ja, schon gut, und warum haben wir eine Krise?«
    »Tja, Sir, wir haben gerade die erste von Afrika ausgehende Invasion in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Aus bislang noch ungeklärten Gründen haben die Marokkaner die Insel besetzt, vielleicht um die Hochzeit des Königs nachzufeiern, die vor kurzem stattgefunden hat. Die Invasionsarmee bestand aus einem Dutzend marokkanischer Grenzer. Sie sind rübergepaddelt, haben ein Zelt aufgestellt und zwei marokkanische Flaggen gehisst. Und sie hatten ein Funkgerät dabei.«
    »Gut, und was ist dann passiert?«
    »Ein paar Tage später haben die Spanier gemerkt, dass sie ihre Insel verloren haben, und dann war der Teufel los. Spanien stürzte in eine politische Krise. Die spanische Regierung verständigte die NATO und die Europäische Union. Die NATO antwortete ausweichend, dies sei ein bilaterales Problem. Aber die EU verurteilte die Invasion. ›Dies ist ohne Frage ein bedauerlicher Vorfall‹, erklärte sie. ›Er stellt eine Verletzung spanischen Hoheitsgebiets dar.‹ Die Marokkaner brachten die Angelegenheit vor die Organisation der Islamischen Konferenz und erhielten von ihr Rückendeckung. Was nicht überrascht.«
    Meine Jungs fuhren fort: »Tja, dann griffen die Spanier mit Seestreitkräften an und eroberten die Insel zurück. Derzeit befinden sich 75 spanische Legionäre auf der Felsinsel.«
    Ich musste schmunzeln. »Wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Ist das nicht eine Szene aus
Die Maus, die brüllte?
« – eine Anspielung auf die klassische Filmkomödie mit Peter Sellers über einen europäischen Zwergstaat, der per Zufall in den Besitz einer Superwaffe gelangt und die Großmächte das Zittern lehrt.
    »Nein, Sir, es ist zu einem ernsten internationalen Problem geworden.«
    Warum ruft mich Ana deswegen an?, fragte ich mich. Ich scheute mich, darauf zu antworten, aber ich musste mich ja bei ihr zurückmelden.
    Als ich Ana an den Apparat bekam, erklärte ich ihr, dass ich über die Krise nun vollständig im Bilde sei. »Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte ich widerstrebend.
    »Nun ja«, antwortete sie, »wir haben unsere Insel wieder, und jetzt wollen auch unsere Legionäre wieder nach Hause. Aber die Marokkaner warten am Strand und könnten versuchen, sie wieder zurückzuerobern. Die Organisation der Islamischen Konferenz steht hinter ihnen, die EU hinter uns. Deshalb müssen Sie das Problem lösen.«
    Da hatte ich den Salat.
    Zum Glück hatte es bei der Invasion und beim Gegenangriff keine Verwundeten gegeben. Bei der Landung der Legionäre war die Insel nur von sechs Marokkanern besetzt gehalten worden. Die Legionäre hatten sie nach Marokko zurückeskortiert.
    Die Lösung lag auf der Hand: Rückkehr zum Status quo ante bellum, also zu dem Zustand, der 400 Jahre lang geherrscht hatte. Das klang einfach.
    In den folgenden 48 Stunden telefonierte ich mehrfach mit Ana Palcio und dem marokkanischen Außenminister Mohammed Benaïssa, einem hervorragenden Diplomaten, den ich seit Jahren kannte. Alle möglichen Streitpunkte tauchten auf, und wir legten alle erfolgreich bei. Schließlich, am Samstagmorgen, erzielten wir eine Übereinkunft (inzwischen führte ich all diese Gespräche am Telefon bei mir zu Hause). Wir verständigten uns darauf, dass die Legionäre um Punkt 11.30 Uhr meiner Zeit, also in ein paar Stunden, die Insel räumen sollten. Ich wollte die beiden Außenminister gerade beglückwünschen, da verlangten sie plötzlich einen schriftlichen Vertrag.
    »Dann setzen Sie einen auf«, schlug ich vor.
    Ausgeschlossen.
Ich
müsste das tun.
    »Ich? Und wer soll ihn unterzeichnen?«
    »Ganz einfach, wir wollen, dass Sie ihn unterzeichnen.«
    Sie erwarteten

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