Leahs Vermächtnis (Berg und Thal Krimi) (German Edition)
Tisch.
»Was gibt es Neues?«
Bettina Berg setzte sich auf die Schreibtischkante, was Auer veranlasste, den Blick auf ihre Beine zu richten. Sie strich sich mit der linken Hand eine Haarsträhne aus dem Gesicht, ehe sie antwortete.
»Nicht viel. Genau genommen nichts. Es ist wie verhext. Keine verwertbaren Spuren, keine Zeugen, gar nichts. Wir kommen nicht weiter. Gerth hat für neunzehn Uhr ein Meeting angesetzt, wo wir noch einmal alles Punkt für Punkt durchgehen. Vielleicht haben wir irgendeine Kleinigkeit übersehen.«
»Gute Idee«, brummte Thal. »Mich braucht ihr da ja nicht, ich kann euch ohnehin nicht helfen. Schließlich habe ich keine Sachkenntnis in dem Fall.«
»Wie wäre es mit Aktenstudium, Herr Kollege?«
Ohne dass die drei es bemerkt hatten, war Adrian Gerth in den Raum getreten. Die Hände in die Hüften gestemmt, erschien er Thal wie das fleischgewordene Napoleonsyndrom. »Hüte dich vor kleinen Männern«, hatte seine Mutter ihn zu Beginn seiner Polizeilaufbahn gewarnt. Mehrfach musste er in den vergangenen Jahrzehnten erfahren, wie recht sie damit hatte.
Gerth trat einen Schritt auf Thal zu.
»Willkommen zurück.«
Thal ergriff die ihm entgegengestreckte Hand. Sie war kalt und feucht, dazu war Gerths Händedruck so kraftlos, dass er kaum wahrnehmbar war.
»Bestimmt werden Sie jetzt die Leitung der Ermittlungen in der Einbruchsserie übernehmen. Schließlich handelt es sich bei den Opfern um einflussreiche Leute.«
Gerth war der einzige Mitarbeiter seines Kommissariats, mit dem sich Thal noch nach Jahren siezte, sah man von Stefanie Bohlmann ab, die er aber bisher kaum kennengelernt hatte.
»Da vertraue ich Ihnen voll und ganz, Herr Gerth. Diese Verantwortung ruht gut auf Ihren Schultern.«
Bettina Berg drehte ihr Gesicht in Richtung Fenster, damit man das breite Grinsen nicht sehen konnte.
»Gut, dann um neunzehn Uhr in meinem Büro«, sagte Gerth und verließ mit steif durchgedrücktem Rücken den Raum.
»Oh je, der Ärmste«. Frank Auer ging ebenfalls Richtung Tür. »Da hat er gehofft, bald Chef zu werden, und jetzt kanzelst du ihn ab wie einen Schuljungen.« Winkend verließ er das Büro.
Bettina Berg stand vom Schreibtisch auf und setzte sich in ihren Bürostuhl, der knarzte wie die Türen in einem Gespensterschloss.
»Du solltest dich wirklich mit dem Fall beschäftigen, Alexander. Wenn wir nicht bald einen Täter oder wenigstens eine Spur präsentieren, wird uns die Presse zerreißen.«
»Damit kommt ihr schon klar. Ich muss mir die Fälle der letzten Jahre vornehmen. Das ist im Moment die einzige Chance, unserem Fotografen auf die Schliche zu kommen.«
Bettina hob die Schultern leicht an.
»Wenn du meinst. Aber denk dran: Genau genommen haben wir da noch keinen Fall, und Schober kann höchst unangenehm werden, wenn er sich hintergangen fühlt.«
Und wenn schon, dachte Thal auf dem Weg zu seinem Büro. Dann lege ich ihm mein Attest auf den Schreibtisch oder stelle gleich den Antrag auf frühzeitige Pensionierung. Die Machtspielchen im Präsidium hatten ihn schon immer angeödet. Er war Polizist geworden, weil er den Guten gegen die Bösen helfen wollte. So einfach war das. Deshalb entschied er sich zum Entsetzen seines Vaters und aller Freunde für diesen Beruf. Das war in der Post-68-Ära, und bald hatte er keine Freunde mehr außerhalb der Truppe. Damals wurde man einfach nicht Bulle, es war geradezu unanständig. Im vergangenen Sommer, vierzig Jahre nach seinem Abitur, besuchte er zum ersten und letzten Mal ein Klassentreffen. Die Schulkameraden, die ihn damals am meisten beschimpft hatten wegen seines bourgeoisen Verhaltens und seines Verrats an der Sache der Revolution, waren heute Bankdirektoren, Richter oder Lehrer. Als sie erfuhren, dass er noch heute als Polizist arbeitete, war er ein gefragter Gesprächspartner. Sein Job musste doch um vieles spannender sein als ihre Schreibtischarbeit. Um zehn Uhr abends verließ er die Feier unauffällig, bevor sie richtig begonnen hatte.
Er nutzte die Zeit, die der Computer zum Starten brauchte, um einen Espresso zuzubereiten. Mit der dampfenden Tasse setzte er sich an seinen Schreibtisch und startete die Recherche im Polizeiarchiv. Es dauerte gut eine Stunde, eine Liste von fünf Fällen zusammenzutragen, deren Täter nicht länger als ein Jahr auf freiem Fuß waren und die Grund hatten, sich an ihm zu rächen. Er rief die entsprechenden Akten auf und versuchte, sich an die Männer zu erinnern, was schwierig war, da
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